Streiken die Frauen schon wieder?
Gesichtet am Frauenstreik 2019. (Foto: Claudio Schwarz / Unsplash)
Ein Thema für spannende Diskussionen oder für drohendes Augenrollen: Wie stehen wir aktuell eigentlich im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter?
Gar nicht gut, finden vor allem die Gewerkschaft Unia und der Schweizerische Gewerkschaftsbund SGB. Problemthemen liegen unter anderem im Gender Pay Gap sowie bei Sexismus am Arbeitsplatz, aber auch bei Betreuungsarbeit im privaten Umfeld. Zur Sichtbarmachung dieser Diskrepanzen rufen die Gewerkschaften am 14. Juni 2023 wiederum schweizweit zum Frauenstreik auf.
Worum es in diesem Jahr geht, was genau an diesem Tag passiert und was Personen beachten müssen, die am Streik teilnehmen möchten.
Die Forderungen
Vor allem soll die Arbeit von Frauen besser bezahlt werden als bisher und in Branchen, in denen vermehrt Frauen arbeiten, müssten die Löhne erheblich steigen. Der Mindestlohn soll flächendeckend auf 5000 Franken angehoben werden, wenn mindestens eine Berufslehre abgeschlossen wurde.
Auch die Betreuungsarbeit ist ein Punkt auf der Streik-Agenda. Arbeitszeiten müssten besser planbar und damit auch familienkompatibel sein: Beispielsweise sollen Vollzeitberufe nicht mehr als 35 Stunden pro Woche in Anspruch nehmen. Zudem wird angeregt, bei der Kinderbetreuung und weiterer Care-Arbeit auch die öffentliche Hand massgeblich zu involvieren.
Als dritter Punkt kommuniziert das Komitee Forderungen gegen Sexismus am Arbeitsplatz: Vor allem auch Prävention spielt hier eine erhebliche Rolle.
«Es geht bei der Gleichstellung rückwärts statt vorwärts: Beispielsweise hat die Pandemie die Ungleichheiten sichtbar gemacht, ohne dass sich die Situation für Frauen in essenziellen Berufen verbesserte. Ausserdem verschlechtern die Erhöhung des AHV-Alters der Frauen und die BVG-Reform, die auf den Abbau des Rentensystems abzielt, die Renten der Frauen weiter», erklärt Elisabeth Fannin von der Unia. Insofern haben sich die Themen seit 2019, als der erste grosse Frauenstreik stattfand, wenig geändert.
Was und wo?
Die Gewerkschaften rufen zu verschiedenen Aktionen auf, die am Arbeitsplatz durchgeführt werden können, aber auch zu solchen, die nach 17 Uhr stattfinden. «Unsere Mitglieder organisieren sich in den sogenannt typischen Frauenbranchen. Auch in vielen anderen Branchen wird es zu Aktionen und Streiks kommen, denn alle Gewerkschaften mobilisieren für den Frauenstreik», berichtet Fannin.
Auch Michelle Meyer von der SGB gibt weitere Informationen: «Generell gilt: In allen grossen Städten findet am Abend, gegen 17.30 oder 18 Uhr eine Demonstration statt, davor meistens Stände, Musik und Reden. Zudem finden tagsüber um 10.46, 13.33 und 15.24 Uhr gewerkschaftliche oder symbolische Aktionen statt. Das kann heissen: Eine verlängerte Pause, oder ab 15.24 Uhr Feierabend, weil Frauen ab dem Zeitpunkt umgerechnet gratis arbeiten.»
Eine Übersicht über die Aktivitäten in den Regionen stellt die Gewerkschaften auf der Webseite des Frauenstreiks zur Verfügung, die regelmässig aktualisiert wird.
Wer darf dabei sein?
Doch «dürfen» alle Personen mitstreiken, auch wenn es ein Frauenstreik ist? «Der Streik gehört allen, die Diskriminierung erfahren. Migrantinnen oder LGBTQI-Personen sind selbstverständlich Akteurinnen in unserem gemeinsamen Kampf», sagt Fannin. Und die Männer? «Solidarische Männer sind, wie schon 2019 am Streik willkommen, aber sie sollen sich im Hintergrund halten. Sie sollen die Bühne und die Medienpräsenz anderen überlassen, die sonst nicht vorkommen. Sie können den Frauenstreik unterstützen, indem sie an diesem Tag die Kinderbetreuung übernehmen oder andere unterstützende Arbeit leisten. Ausserdem rufen wir die Männer dazu auf, dass sie sich mit ihrer Rolle als Mann und mit ihren Forderungen nach besserer Vereinbarkeit von Privatleben, Familie und Beruf auseinandersetzen.»
Besonders spannend wird dieses Jahr, ob sich die Teilnehmendenzahlen von 2019 wiederholen lassen. Dazumal nahmen schweizweit 500.000 Personen am Streik teil. In den Nach-Pandemie-Jahren 2021 waren es 100.000 und 2022 50.000 Streikende.
Was ist arbeitsrechtlich zu beachten
Die Frage, die sich viele stellen: Kann man einfach ab 15.24 Uhr streiken und den Arbeitsplatz verlassen? Ganz so einfach ist das nicht, weiss Arbeitsrechtsanwalt Nicolas Facincani: «Ungeachtet der positiven Ziele, welche mit dem Frauenstreik verfolgt werden, müssen Arbeitnehmende damit rechnen, dass sich die nicht mit dem Arbeitgeber abgesprochene Teilnahme am Frauenstreik als Verletzung der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen qualifiziert.»
Das heisst also: Frauenstreik ja, aber nur, wenn auch der Arbeitgebende grünes Licht dafür gibt. Die Fehlzeit kann dabei als Minusstunden vom Arbeitszeitkonto der Mitarbeiterin abgezogen werden. Facincani rät zudem davon ab, den Arbeitsplatz einfach so zu verlassen, beispielsweise, wenn der oder die Vorgesetzte Streikaktionen nicht billigen möchte. Das Verlassen der Arbeitsstelle könnte in dem Fall zur rechtmässigen Kündigung führen. Gleiches gilt auch für non-binäre und männliche Personen.
Für vertrackte Situationen, in denen es in Unternehmen zum Thema Gleichstellung der Geschlechter stets zu Konflikten kommt, bietet die Unia eine Anlaufstelle, um den Frauenstreik auch in den eigenen Betrieb zu tragen.