Interkulturelle Kommunikation

So nah und doch so fern

Bei grenzüberschreitenden Projekten, bei denen die ausländischen Partner aus den westlichen Industriestaaten kommen, unterschätzen Unternehmen oft die kulturellen Unterschiede. Deshalb bereiten sie die Projektmitglieder nicht ausreichend auf die Zusammenarbeit vor.

Auswanderer stellen nach ein, zwei Jahren in der Fremde oft erstaunt fest: Jetzt lebe ich zwar im Ausland, doch meine besten Freunde sind weiterhin Landsleute von mir. Dabei nahm ich mir vor dem Auswandern vor: Ich möchte enge persönliche Beziehungen zu den Einheimischen knüpfen.

Die meisten Personen, die bisher nur ihre Ferien im Ausland verbrachten, unterschätzen, wie stark sie ihre Heimat prägte. Sie unterschätzen auch, wie sehr es sie mit ihren Landsleuten verbindet, dass sie 

  • dasselbe Schulsystem durchliefen, 
  • von Kindesbeinen an dieselben Radiosender hörten,
  • es gewohnt sind, den Müll zu trennen, 
  • und, und, und....

All diese Faktoren prägen unser Empfinden und Erleben und somit auch das, was uns wichtig ist. Deshalb haben Deutsche im Ausland oft das Gefühl: Meine Landsleute verstehen mich besser und schneller als „Einheimische“. Denn erst im tagtäglichen Miteinander registrieren sie die kulturellen Unterschiede im Empfinden, die zu einem unterschiedlichen Verhalten führen. Diese Unterschiede gilt es zu reflektieren. Sonst erwachsen hieraus Vorurteile, die sich mit der Zeit zu (Negativ-)Urteilen verfestigen.

Kulturelle Unterschiede werden meist unterschätzt

Zwei Beispiele: Oft wandern Personen aus, um stressfreier zu leben. Doch schon nach kurzer Zeit klagen sie über die Laisser-faire-Mentalität ihrer neuen Mitbürger. Und Personen, die die ihrem Vaterland den Rücken kehrten, weil ihnen die Bürokratie die Luft zum Atmen nahm? Sie klagen häufig schon wenige Wochen später darüber, wie willkürlich und behäbig die Behörden in ihrer neuen Heimat agieren.

Ähnliche Prozesse registriert man in Unternehmen, deren Mitarbeiter plötzlich mit ausländischen Partnern zusammenarbeiten müssen – zum Beispiel, weil ihr Arbeitgeber in Spanien ein neues Werk eröffnete. Oder mit einem US-amerikanischen Mitbewerber fusionierte. 

In solchen Situationen unterschätzen Unternehmen und ihre Mitarbeiter anfangs oft die kulturellen Implikationen der Zusammenarbeit – und zwar auch dann, wenn die neuen Partner keine «Exoten», sondern zum Beispiel Dänen oder Franzosen, Engländer oder US-Amerikaner sind. Denn gerade weil die westlichen Industrienationen gemeinsame kulturelle Wurzeln haben, erscheint an der Oberfläche vieles gleich. 

Aus Vor-Urteilen werden schnell Pauschal-Urteile 

Doch dann startet das Projekt. Und einige Zeit später merken die Verantwortlichen: Irgendwie läuft das Ganze nicht wie geplant. Ständig gibt es Reibereien. Und unsere Botschaften kommen beim Gegenüber nicht an. Dann reift in ihnen allmählich die Erkenntnis: Die kulturellen Unterschiede sind grösser als gedacht. Doch leider ist es dann oft zu spät, das Ruder herumzureissen – beziehungsweise hierfür wäre ein enormer Energieaufwand nötig. Denn zu diesem Zeitpunkt haben sich die latenten Vor-Urteile, die jeder Mensch gegenüber Personen aus anderen Kulturen hegt, häufig bereits zu Urteilen verfestigt – Urteilen, die sich in pauschalisierenden Aussagen und Gedanken wie «Die Spanier...» oder «Die Amerikaner sind halt so» manifestieren. 

Das heisst, es wird ausgeblendet, dass es «den Spanier» oder «Amerikaner» ebenso wie «den Schweizer» nicht gibt – selbst wenn gewisse Verhaltensmuster in den einzelnen Kulturen verschieden stark ausgeprägt sind. Es wird auch nicht mehr reflektiert, dass jedes Verhalten aus einem bestimmten Erleben resultiert. Deshalb ist vielfach kein Verstehen möglich. Vielmehr werden die Verhaltensmuster mit Werturteilen verknüpft wie: «Die Amerikaner sind halt oberflächlicher als wir.» Oder: «Die Spanier sind wie alle Südländer unzuverlässig». Und diese Verknüpfungen wieder aufzulösen, ist meist schwer, denn sie sind in der subjektiven Wahrnehmung mit konkreten Erfahrungen hinterlegt.

Persönliches Kennenlernen ermöglichen

Solche Prozesse gilt es zu vermeiden, wenn Personen aus mehreren Nationen regelmässig zusammenarbeiten und beim Erfüllen ihrer Aufgaben aufeinander angewiesen sind – und zwar frühzeitig. Denn in den ersten Wochen entscheidet sich meist, wie gut transnationale Teams funktionieren. Deshalb ist es in der Startphase solcher Projekte wichtig, Foren zu schaffen, die es zumindest den Schlüsselpersonen ermöglichen, sich persönlich kennen und verstehen zu lernen und sich auf gemeinsame Ziele sowie Regeln im Umgang miteinander zu verständigen.

Telefonate, E-Mails und Videokonferenzen können ein persönliches Sich-Begegnen und -Kennenlernen nicht ersetzen. Denn wie Menschen zusammenarbeiten, hängt stark davon ab, inwieweit sie die Reaktion des jeweils anderen einschätzen können und ihm vertrauen. Und dies setzt voraus, dass die betreffenden Personen ein wechselseitiges Bild voneinander und einen gemeinsamen Schatz an Erfahrungen haben. 

Dieses persönliche Bild vom Gegenüber entsteht beim Kommunizieren per Telefon und E-Mail nur bedingt. Denn hierbei bleibt die Kommunikation weitgehend auf den Austausch fachlicher Infos beschränkt. Zudem ist die Wahrnehmung des Gegenübers eingeschränkt. Es fehlen sinnliche Erfahrungen, wie sie entstehen, wenn man einer Person die Hand reicht. Oder wenn man ihr in die Augen schaut. Gerade solche Erfahrungen sind aber für den Aufbau von Vertrauen und einer persönlichen Beziehung wichtig.

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Sabine Machwürth ist geschäftsführende Gesellschafterin der international agierenden Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede (D),

www.mticonsultancy.com

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