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So ist das Leben als virtuelle Assistenz

Romy Müller, wie ist es, als virtuelle Assistentin und digitale Nomadin die Welt zu bereisen?

«Viele denken, dass ich als digitale Nomadin morgens in der Hängematte den Laptop starte und abends mit einem Cocktail in der Hand am Strand einschlafe. Tatsächlich ist mein Arbeitsalltag erstaunlich normal, obwohl ich seit etwa einem Jahr mit meiner Familie die Welt bereise. Gestartet sind wir in Marokko, nahmen dann die Ost-Route Richtung Türkei und geniessen bald den Herbst in Südafrika. Trotz wechselnder ­Szenerie bleibt aber mein Arbeitsplatz der ­gleiche: unser Expeditionsmobil. Von dort aus unterstütze ich Manager und Firmeninhaber in der Organisation oder plane beispielsweise Events. Das fühlt sich nicht anders an, als im Homeoffice zu arbeiten. Naja, fast: Ich erinnere mich an ein Teams-Meeting, während dem neugierige Dromedare an unserem Auto vorbeiliefen.

Mein Weg in den Assistenzberuf ergab sich durch meine damalige Position als Exportmanagerin. Ich arbeitete in diesem Bereich bereits eng mit der Geschäftsleitung zusammen und ­übernahm immer mehr Verantwortung. Anschliessend beschloss ich, diesen Weg einzuschlagen und von der Pharma- zur ­Automobilbranche zu wechseln. In meiner letzten Position als Direktionsassistentin hatte ich das grosse Glück, einen wunder­baren Chef zu haben, der mich förderte und unterstützte. Dadurch ergab sich die ­Möglichkeit, in verschiedenen, kurzzeitigen Doppelfunktionen mehrere Manager gleichzeitig zu unterstützen. Ich fand es erfüllend, herausfordernd, aber auch spannend, einen solchen abwechslungsreichen Arbeitsalltag zu haben. Gleichzeitig wollte ich meine Tage freier gestalten und als Assistentin dann ­verfügbar sein, wenn der Chef mich wirklich braucht, wenn auch ausserhalb der gewöhnlichen Arbeitszeiten.

Während einer dreimonatigen Reise durch die USA sah ich, dass dort die Zusammen­arbeit mit virtuellen Assistenzen längst normal ist – und entsprechend auch eine riesige Nachfrage besteht. Als werdende Mutter kam der Wunsch auf, Familie, Reisen und Arbeiten zu kombinieren. Also entschied ich mich 2018 dazu, selbständig zu werden. Die Vorstellung, die Sicherheit einer Fest­anstellung zu verlassen, macht vielleicht einige nervös – ich war jedoch eher gespannt, wie sich mein Leben dadurch verändern würde. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass es nicht mein erstes eigenes Unternehmen war. Früher organisierten mein Partner und ich Safariexpeditionen. Auch habe ich meine Selbständigkeit parallel zu einer Hauptanstellung aufgebaut, was mir eine gewisse Sicherheit gab. Dass die Arbeit auf Reisen so gut funktioniert, verdanke ich auch meinem Partner. Er hält mir den Rücken frei, kümmert sich um das Fahrzeug, um die Reiseplanung und um unsere Kinder, die sich noch im Vorschulalter befinden. Das war auch der Grund, weshalb wir jetzt diesen Schritt gewagt haben. Eine Weltreise ist nur möglich, bis unsere Kinder in die Schule müssen, denn gleichzeitiges Arbeiten und für die ­Ausbildung meiner Kinder zuständig zu sein, wäre eine zu grosse Belastung. Als Familie erleben wir verschiedene Länder und Kulturen hautnah, entdecken Orte, die nicht in Reiseführern zu finden sind, lernen neue Sprachen, probieren lokale Speisen und lassen uns inspirieren.

Als Selbständige könnte man meinen, dass ich viel allein arbeite. Doch dem ist nicht so! Ich arbeite eng mit meinen Kundinnen und Kunden zusammen, um sicherzustellen, dass ihre Anforderungen erfüllt sind. Meine kreative Ader lebe ich indes im Websitedesign aus. Weil ich gemeinsam mit meinem Partner einen umgebauten T2 Bulli als Cocktailbar leite, kommt auch die Teamarbeit nicht zu kurz. Was aber als Selbständige schwierig sein kann, ist die Trennung von Arbeit und Freizeit. Manchmal ist das türkisblaue Meer verlockender als die Arbeit, deshalb sind Disziplin und Selbstorganisation umso wichtiger. Zudem nimmt man als Selbständige aus Angst vor schlechteren Zeiten eher zu viele Aufträge an. Da die Auftragslage und das Einkommen variieren können, ist als Nomadin eine gewisse finanzielle Voraussicht gefordert, um auch kurzfristige schlechtere Zeiten zu bewältigen. Generell sollte man auf Reisen eine Sicherheit haben, die es ermöglicht, sechs Monate ohne Einkommen auszukommen. Deshalb teile ich meinen Tag in Arbeitsblöcke ein, um eine gewisse Struktur zu haben und trotzdem eine gute Work-Life-Balance zu behalten – am Familienleben und an den Reisen teilzuhaben, ist mir sehr wichtig. Die Zusammenarbeit mit verschiedenen Kundinnen und Kunden erfordert gute Organisation, Zeitmanagement-Fähigkeiten und die Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, um sicherzustellen, dass alle Aufgaben termingerecht erledigt werden. Deshalb beginnt meine Arbeitsvorbereitung bereits am Vorabend mit einer To-do-Liste, nach der sich unser Reiseprogramm richtet.

Das Leben als digitale Nomadin erfordert Mut, Anpassungsfähigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen, aber die Belohnungen sind unvergleichlich. Wer sich auch selbständig machen will – sei es, um die Welt zu bereisen oder einfach mehr für die Familie da zu sein – dem rate ich, sich eine Nische zu suchen. Mit einer klaren Positionierung ist es einfacher, potenzielle Kundinnen und Kunden anzusprechen. Zudem muss man sich auch ein gutes professionelles Netzwerk aufbauen. Tritt man mit anderen digitalen Nomaden, Unternehmern und Fachleuten aus verschiedenen Branchen in Kontakt, profitiert man so von ihrer Erfahrung. Daraus entstehen Kooperationen und kreative Projekte.

Mein Alltag als virtuelle Assistentin ist geprägt von Vielseitigkeit und Flexibilität. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen und Chancen mit sich und ich geniesse es, meine Kundinnen und Kunden bei ihren ­Projekten zu unterstützen und zu deren Erfolg beizutragen.»

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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