Seminare in der virtuellen Realität – Trainings der nächsten Generation
Wie funktionieren VR-Trainings und löst diese Technik herkömmliche Seminare ab? Office-Management-Trainerin Dunja Schenk hat es nicht nur ausprobiert, sondern sich gleich als VR-Trainerin lizenzieren lassen.
«Seien Sie dabei und erleben Sie das Training der nächsten Generation», als ich im Spätherbst 2020 diese Seminarbeschreibung für ein «Resilienz-Training im virtuellen Raum» las, wurde ich hellhörig. Dass ich mich keine sechs Wochen später selbst zertifizierte VR-Trainerin nennen und damit zu den Vorreitern in der Trainerszene gehöre würde, ahnte ich damals noch nicht. Ich bin seit zehn Jahren Seminartrainerin, bekennender «Digitaljunkie» und natürlich seit Beginn der Pandemie nahezu ausschliesslich über Online-Trainings unterwegs. Doch ein ganzes Seminar mit einer VR-Brille abzuhalten, erschien mir im ersten Moment unrealistisch.
Keine neue Technologie
Die Technologie existiert schon lange und wird nicht nur in der Gaming-Szene genutzt, sondern inzwischen auch in vielen anderen Bereichen. So gehört die virtuelle Realität zum Standard bei der Pilotenausbildung, um Gefahrensituationen zu simulieren; in der Baubranche hilft sie Architekten, das geplante Gebäude schon vor dem Bau zu besichtigen, und in der Medizintechnik unterstützt sie Ärzte bei Operationen mit 3D-Modellen aus MRT-Untersuchungen.
Doch wie kann diese Technik im Seminargeschäft eingesetzt werden, fragte ich mich, und meldete mich für ein VR-Seminar an. Ein paar Tage vor dem Trainingsbeginn in VR habe ich ein Paket mit einer VR-Brille zur Ausleihe erhalten. Im ersten Moment ist das Gerät ganz schön sperrig und schwer auf dem Kopf, aber ich gewöhnte mich erstaunlich schnell daran. Ich finde es immer noch faszinierend, dass man einen kompletten Rechner auf dem Kopf trägt. Die Brille, die wir für die Trainings nutzen, ist eine sogenannte Stand-Alone-Brille, die lediglich einer WLAN-Verbindung bedarf.
Nach einer kurzen Technik-Einweisung geht es in den virtuellen Seminarraum der Plattform Arthur. Diese Plattform ist einer von mehreren Spaces, die für VR-Trainings genutzt werden.
«Es ist faszinierend den kompletten Rechner auf dem Kopf zu tragen.»
Nähe ist wieder da
Der virtuelle Seminarraum sieht aus wie eine Hotellobby mit Besprechungslounge und Garten. Eingerichtet ist alles mit gemütlichen Sitzmöbeln sowie Pflanzen als Dekoration. Sogar ein Aquarium steht in der Ecke und am Eingang kann man sich an der virtuellen Kaffeemaschine bedienen. Die erste halbe Stunde benötigen die Teilnehmenden, um erst einmal anzukommen. Wie funktioniert der Controller? Was kann ich alles in einem Seminarraum tun? Wie kann ich auf einem Whiteboard schreiben? Wie kann ich Kärtchen an eine Pinnwand heften oder 3D-Gegenstände im Raum bewegen?
Je mehr ich mich mit der Technik auskenne, desto mehr stelle ich fest, dass ich vieles tun kann, was ich auch aus dem herkömmlichen Seminarraum kenne. Er ist nicht nur zweidimensional am Bildschirm, wie man es bereits aus Live-Online-Trainings kennt.
In VR stecke ich mitten im Geschehen und habe ein haptisches Erlebnis. Der Fachbegriff hierfür lautet «Immersion». Man taucht ein in das Geschehen. Und noch etwas fällt schnell auf: Die Teilnehmenden sind zwar Avatare, befinden sich aber mit mir im selben Raum, was schnell zu einem Gefühl der Nähe führt. Das ist das, was ich bei Live-Online-Trainings über Zoom, MS Teams und Co. oft vermisse. Auch ist die Aufmerksamkeit eine ganz andere. Dadurch, dass ich während eines Trainings stets die VR-Brille auf dem Kopf habe, ist mein Fokus vollständig im VR-Raum. Abgesehen davon ist es gar nicht möglich, etwas anderes nebenher zu tun. Denn um schnell die E-Mails zu checken oder auf das Smartphone zu blicken, müsste ich die VR-Brille abnehmen.
Nachhaltigere Trainings
Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass VR-Trainings viermal effektiver sind als Online-Trainings und eineinhalbmal effektiver als Präsenzseminare. VR hat eine hohe Wirkung und ist sehr nachhaltig, weil die gelernten und erlebten Inhalte durch die Immersion direkt in den Tiefen des Gehirns gespeichert werden. Die Inhalte des Trainings bleiben also nachhaltig im Gehirn verankert, obwohl man sich währenddessen keine Notizen machen kann.
Für welche Themen geeignet?
Im Prinzip können sehr viele Seminarthemen in VR umgesetzt werden. Ein VR-Tag eignet sich auch hervorragend als Teambuilding-Event – denn allein die Erfahrung, gemeinsam in der virtuellen Realität unterwegs zu sein, ist schon ein Highlight. Führungskräfte nutzen die virtuelle Realität auch gerne für Strategie-Sessions oder Manager-Meetings. Gerade wenn die Führungsriege europa- oder weltweit verteilt ist, ist ein Meeting in VR wesentlich effektiver. Vor allem preislich und zeitlich sind VR-Meetings eine echte Alternative zu Präsenzmeetings.
Mein Fazit: Seminare und Meetings in VR werden in Zukunft sicher eine hervorragende Ergänzung sein zu Präsenz- und Live-Online-Trainings.
Studie zur Effektivität von VR-Trainings
Das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) hat 2020 eine Studie durchgeführt, um die Wirksamkeit von Soft-Skill-Trainings in der virtuellen Realität zu untersuchen. Nachfolgend die Studienergebnisse:
Viermal schnelleres Lernen
Teilnehmende in VR-Trainings konnten viermal schneller trainiert werden als in einem klassischen Seminarsetting – ohne die Reisezeit mit einzubeziehen. Das bedeutet, dass die gleichen Inhalte, die in der analogen Welt in zwei Stunden durchgenommen werden, in der VR-Welt bereits nach 30 Minuten vermittelt werden. VR-Trainings dauern also trotz der technischen Einführung für Erstnutzer nicht länger. Auch im Vergleich zu Online-Trainings kommen die Seminarinhalte schneller beim VR-Nutzer an.
40 Prozent mehr Sicherheit im Gelernten
Gerade beim Erlernen und Üben von Soft-Skills ist die innere Sicherheit entscheidend für den Erfolg. Beispielsweise ist es beim Trainieren von schwierigen Kunden- oder Mitarbeitergesprächen entscheidend, dass solche Situationen in einer vertraulichen Umgebung geübt werden können. Die Studie hat gezeigt, dass VR-Trainingsteilnehmende hier eine bis zu 40 Prozent höhere Sicherheit haben gegenüber Teilnehmenden, die im Seminarraum trainiert wurden, und immerhin 35 Prozent höher als Teilnehmende in Online-Trainings.
Viermal fokussierter als im Online-Training
Es ergab sich, dass die Studienteilnehmenden im VR-Raum viermal fokussierter als im Online-Training und eineinhalbmal fokussierter als im Offline-Seminarraum sind. Das liegt vor allem daran, dass sich die Ablenkungen bei einem Training mit einer VR-Brille in Grenzen halten.
Kosteneffizienter bei Skalierung als Online-Trainings
Natürlich sind die Kosten bei VR-Trainings zu Beginn wesentlich höher als in einfachen Live-Online-Trainings. Doch gerade bei einer höheren Teilnehmerzahl lohnt sich die Investition – vor allem, wenn man die Kosten mit den herkömmlichen Tagungskosten inklusive der Reisespesen vergleicht.
Quelle: PwC, VR Soft Skills Training Efficacy Study 2020