In der Prä-Political-Correctness-Ära, als die Menschen bereits aufrecht und mit einer guten Portion gesunden Menschenverstands durchs Leben gingen, durfte der Chef seiner Assistentin ab und zu ein nett gemeintes Kompliment machen, über das sie sich freute, ohne sich in ihrer sexuellen Integrität eingeschränkt zu fühlen. In der Pause erzählte man sich bisweilen einen unflätigen Witz, über den Männchen wie Weibchen gleichermassen lachen konnten. Ausserdem durfte man die Adjektive «männlich» oder «weiblich» ganz pragmatisch verwenden, ohne Gefahr zu laufen, dass sich jemand diskriminiert fühlte. Und die interessierte Frage nach Familie und Kindern, die man an einen neuen Mitarbeiter stellte, wurde als ehrliches Interesse an seiner Person gedeutet und nicht als unangemessenen Eingriff in die Privatsphäre. In diesen längst vergangenen Zeiten schickte man sogar noch Karten mit dem Christkind drauf, das «frohe Weihnachten» wünschte. Heute steht dort, wo der freundliche Weihnachtsmann früher von der Karte lächelte: «Saisonale Grüsse» in 40 verschiedenen Sprachen.
Unsere angelsächsischen Gutmenschen haben es fraglos gut gemeint, als sie in der Welt die Kunde der politischen Korrektheit verbreiteten. Als sie zahllose Codes of Conduct in den Marmor der Bankschalter und den Sandstein der Freitreppen zum CEO-Office meisselten. Sie gaben uns Diversity, sie gaben uns Inclusion und sie sagten, dass, wenn wir uns nicht penibel an die Vielfalts- und Einbindungsgebote halten und unsere Bemühungen in einer 50-seitigen PowerPoint-Präsentation statistisch belegen können, wir dann ins Fegefeuer kommen. Das ist dort, wo die Vernunft auf dem Scheiterhaufen der hemmungslosen Sittlichkeit verglüht.
Aber jetzt mal Spass beiseite. Jedem Mitarbeiter im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist in der heutigen Zeit klar, dass Diffamierung, Diskriminierung und Belästigung keinen Platz haben in einer modernen Gesellschaft. Sich stets politisch korrekt zu verhalten ist zweifellos eine Tugend und eine wahnsinnig anstrengende noch dazu. Nur leider macht sie aus einst impulsiven und kreativen Arbeitsstätten charakterlose, ewig lächelnde Orte allumfassender Doppeldeutigkeit und opportunistischer Duckmäuserei. Sogar der devoteste Chinese hat heute mehr Mut, seine Meinung zu sagen als der aalglatte, westeuropäische Standard-Angestellte. No risk, no fun war gestern. Heute ist nur noch no fun.
Ich plädiere für mehr Rückgrat in den Chefetagen, Unverblümtheit in den Schreibstuben, Leidenschaft in jedem Büro und Vernunft auf allen Ebenen. Im Sekretariat wäre auch Sinn für Humor ganz nützlich, weil dieser verhindert, dass eine Assistentin ihren Chef bei der Fachstelle für sexuelle Belästigung denunziert, nur weil er gefragt hat, ob sie ihm hin und wieder eine Latte bringen könne.
PS: Falls meine Ausführungen politisch nicht korrekt gewesen sein sollten – bitte verzeihen Sie – es war genau so gemeint.