Nebenher arbeiten - was ist erlaubt?
Als Nebentätigkeit ist erlaubt, was nicht stört. Unzulässig ist die Verletzung der Treuepflicht gegenüber dem Hauptarbeitgeber. Nicht nur Konkurrenzierung verletzt diese Treuepflicht. Manchmal zeigen sich juristische Untiefen bei scheinbar unproblematischen Verhältnissen.
Der Begriff der Schwarzarbeit wird für verschiedenste Sachverhalte verwendet: Erwerbseinkommen wird nicht versteuert oder die Mehrwertsteuer unterschlagen, Sozialversicherungsbeiträge werden nicht abgeführt oder Arbeitsbewilligungen nicht eingeholt. Auch die konkurrenzierende Nebentätigkeit, die Art. 321a Abs. 3 OR verbietet, gilt als Schwarzarbeit. «Konkurrenzierend im Sinne dieser Bestimmung ist unter anderem jede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen, welches gleichartige Leistungen für ein gleichgelagertes Kundenbedürfnis einem sich zumindest teilweise überschneidenden Kundenkreis anbietet, wobei eine konkrete Schädigung des Arbeitgebers nicht begriffs-notwendig ist» (Kantonsgericht St. Gallen, 28. April 2011).
Wem gehört der Gewinn?
2011 urteilte das Bundesgericht über einen Prokuristen (BGE 137 III 607 vom 28. November 2011). Sein Arbeitsvertrag hatte festgehalten, ihm sei jegliche Nebentätigkeit ohne schriftliche Einwilligung der Geschäftsleitung untersagt. Dennoch verdiente er sich etwas nebenbei. Er übernahm privat Aufträge von Konkurrenzunternehmen. Diese Aufträge erledigte er teilweise während der bezahlten Arbeitszeit. Zudem nutzte er dreisterweise die Infrastruktur der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin reagierte scharf. Sie erstattete Strafanzeige und verlangte den Gewinn heraus. Ein klarer Fall, so scheint es. Doch es kam anders:
Das Strafgericht sprach den Prokuristen wegen ungetreuer Geschäftsführung schuldig. Aber im Rechtsmittelverfahren wurde er freigesprochen, weil dem Arbeitgeber kein Vermögensschaden entstanden sei.
Das Zivilgericht entschied: Der Arbeitgeberin steht der Gewinn zu, den der Prokurist durch die Schwarzarbeit erzielte. Vom Gewinn zog das Gericht aber einen Betrag ab. Diesen beliess es dem Prokuristen als «Lohn» für seine Nebentätigkeit. Interessant dabei: Das Bundesgericht liess ausdrücklich offen, ob das Arbeitsrecht überhaupt einen Gewinnherausgabeanspruch vorsehe. Es segnete die Gewinnherausgabe im Ergebnis nur deswegen ab, weil das Obligationenrecht dies speziell für Prokuristen vorsieht (Art. 464 Abs. 2 OR).
Entgegen weitverbreiteter Meinung kann auch die unentgeltliche Nebentätigkeit die Treuepflicht verletzen. Die Kundin eines Coiffeurgeschäfts wollte stets von ihrer Lieblings-Coiffeuse bedient werden. Diese Coiffeuse arbeitete bereits seit sechs Jahren dort. Dann wurde ihr ordentlich gekündigt und sie wurde freigestellt – offenbar zum grossen Bedauern ihrer Stammkundin. Aus Gefälligkeit verrichtete ihr die Coiffeuse deshalb die Haare ein -einziges Mal und zudem unentgeltlich – allerdings während immer noch andauernder Freistellungszeit. Die Arbeitgeberin entliess die Coiffeuse fristlos wegen Konkurrenzierung. Das Gericht entschied: «Bei bereits ausgesprochener ordentlicher Kündigung sind erhöhte Ansprüche an eine fristlose Entlassung zu stellen. Die Wichtigkeit des Grundes muss umso grösser sein, je näher das Ende des Arbeitsverhältnisses liegt. Mangels eines nachvertraglichen Konkurrenzverbots ist zudem während der Freistellung die Treuepflicht nicht mehr so gross wie während des Arbeitsverhältnisses [...].» Eine einmalige unentgeltliche Coiffeurleistung an die Stammkundin stelle deshalb kein dermassen gravierendes, treuwidriges Verhalten dar, das eine fristlose Kündigung rechtfertigen würde (Obergericht Luzern, 17. Februar 2009).
Selbständigkeit vorbereiten
Nicht ganz einfach zu fassen ist der Unterschied zwischen unerlaubter konkurrenzierender Nebentätigkeit und der erlaubten Vorbereitung einer späteren Selbständigkeit: Das Bundesgericht war der Ansicht, nebenbei seine Selbständigkeit vorzubereiten, indem man eine Gesellschaft gründet und Stelleninserate für das künftige Personal aufsetzt, sei unbedenklich (BGE 117 II 72 vom 7. Mai 1991). Ein Fensterreiniger übertrieb es aber, als er während des laufenden Arbeitsverhältnisses anfing, für seine künftige Selbständigkeit Visitenkarten in privaten Haushalten zu verteilen. Ihm wurde berechtigterweise fristlos gekündigt (Arbeitsgericht Zürich, 17. Dezember 2009).
Ein 100-Prozent-Pensum in der Haupttätigkeit schliesst eine Nebentätigkeit nicht grundsätzlich aus. Umgekehrt gilt: Gegenüber dem Hauptarbeitgeber darf die Nebentätigkeit keine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers verursachen – selbst wenn der Arbeitnehmer den Hauptarbeitgeber nicht konkurrenziert. Für einen Lastwagenchauffeur wäre es also unzulässig, seine Ruhezeitvorschriften zu verletzen, nur weil er noch eine Nebentätigkeit ausübt. In gleicher Weise sollen mehrere Teilzeitstellen die Höchstarbeitszeitgrenzen des Arbeitsgesetzes nicht überschreiten. Naturgemäss ist eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit schwierig nachzuweisen. So kann ein Arbeitgeber eine Kündigung nicht damit begründen, die Arbeitsfähigkeit des Angestellten sei wegen Nebentätigkeit eingeschränkt gewesen, wenn diesem Arbeitnehmer aber ein in jeder Hinsicht gutes Arbeitszeugnis ausgestellt wurde (Obergericht Luzern, 17. Februar 2009). Auch Übermüdung, die sich in Unproduktivität niederschlägt, kann im Einzelfall scheinbar offensichtlich – und dann vor Gericht doch schwierig zu beweisen sein.
Bei Nebentätigkeit lauern die juristischen Stolpersteine manchmal dort, wo man sie nicht vermutet:
Zeitarbeit: Wer als Zeitarbeiter für einen Personalverleih arbeitet, darf beispielsweise den Betrieb, bei dem er einen Einsatz leistet, nicht konkurrenzieren – obschon er vom Personalverleiher angestellt ist und nicht vom Einsatzbetrieb (Obergericht Luzern, 16. Oktober 2006).
Konzern: Entsprechende Vorsicht ist auch geboten, wenn man für einen Konzern mit Tochtergesellschaften arbeitet: Arbeitet man nur für eine der Tochtergesellschaften, darf man dann eine der anderen Tochtergesellschaften durch eine Nebentätigkeit konkurrenzieren?
Überstunden: Schliesslich sind Arbeitnehmer dazu verpflichtet, erforderlichenfalls Überstunden zu leisten (Art. 321c Abs. 1 OR). Mehrfachbeschäftigungen können die Pflicht zur Leistung von Überstunden naturgemäss beeinträchtigen. Die Verletzung dieser Pflicht mag allenfalls anders beurteilt werden, wenn der Arbeitgeber um die Mehrfachbeschäftigung wusste.
Was im Vertrag steht, gilt
Letztlich massgebend ist, einmal mehr, die konkrete vertragliche Absprache. Beispielsweise sehen manche Arbeitsverträge vor, jede Nebentätigkeit sei verboten. Art. 321a OR, der die Treuepflicht von Arbeitnehmern und damit die Nebentätigkeit regelt, ist kein zwingendes Recht. Das Bundesgericht ist deshalb der Ansicht, die Treuepflicht könne auch strenger ausgestaltet werden, als es Art. 321a OR vorsehe (BGE 4A_408/2011 vom 15. November 2011). Die Grenze bilde aber die Vertragsfreiheit, namentlich Art. 27 ZGB. Dieser Artikel schützt Arbeitnehmer davor, sich selber übermässig zu binden (Persönlichkeitsschutz).
Allerdings war das Obergericht Luzern der Ansicht, wenn der Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag nur schon zusichere, dem Arbeitgeber seine «volle Arbeitskraft» zur Verfügung zu stellen, so rechtfertige «jeder nennenswerte Nebenerwerb» eine fristlose Entlassung (Obergericht Luzern, 4. Mai 1994). Umgekehrt scheint fraglich, ob sich ein völliges Verbot der Nebentätigkeit durchsetzen liesse, wenn ein Arbeitnehmer beim Hauptarbeitgeber nur zu 60 Prozent angestellt ist und ihn mit der Nebentätigkeit nicht konkurrenzieren würde.