Portrait

Mit Ski, Charme und fünf Sternen

Barbara Kernen arbeitet dort, wo Schöne und Reiche Ferien machen. Als Direktionsassistentin im Hotel Gstaad Palace tritt die Bernerin täglich in die mondäne Welt des wohl bekanntesten Fünfsternehotels der Schweiz ein. Die Gäste des Hauses trifft sie aber eher auf der Piste, wo sie im Winter jede freie Minute verbringt.

Sie hat es versucht. Mit 35 Jahren hat Barbara Kernen ihre Koffer gepackt und dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist, den Rücken gekehrt. Sie hatte genug, wie sie sagt. Sie wollte etwas Anderes sehen, Abstand gewinnen. Also hängte sie ihren Job an den Nagel und war – konsequent, wie sie ist – wenige Wochen später weg. Sie landete in der Innerschweiz. «Eine gute Erfahrung», sagt sie rückblickend. «Aber nach drei Jahren wollte ich wieder zurück.» Der Grund dafür war vor allem ihr Freund, mit dem sie kurz vor dem Umzug zusammenkam. Und auch zu den Vereinen, für die sie ehrenamtlich tätig ist, konnte sie die Verbindung trotz der Distanz nicht kappen. Nicht zuletzt waren es aber das Dorf und die Bewohner selbst, die sie gerne zurückkehren liessen. Immerhin eine der bekanntesten Ferienregionen der Schweiz: Barbara Kernen ist in Gstaad im Berner Oberland aufgewachsen. Dort, wo Reiche und Schöne aus der ganzen Welt ihre Ferien verbringen.

«Wir sind mit prominenten Gästen gross geworden. Für uns war es normal, dass neben den Bauern, den Handwerkern und Hotelangestellten auch sehr reiche Menschen durch das Dorf spazierten.» Mit ihnen werde in Gstaad äusserst diskret umgegangen. Man lasse sie in Ruhe, was sie zu schätzen wüssten. Kernen interessiert sich auch nicht speziell für die illustren Gäste. Einheimische, die sie kennt, grüsst sie beim Spaziergang durch die von Luxusgeschäften gesäumte Hauptgasse jedoch herzlich. «Man kennt sich hier, wechselt oft ein paar Worte. Ich finde das schön.»

Auch ihren Chef Andrea Scherz, General Manager und Besitzer vom Hotel Palace, kennt Kernen seit Kindertagen. Er ging im gleichen Schulhaus zur Schule. Dass sie nun im wohl bekanntesten Fünfsternehaus der Schweiz mit den charakteristischen Türmchen arbeitet, war trotzdem eher Zufall als Kalkül. «Ich hatte mich für eine Stelle bei Gstaad Saanenland Tourismus beworben und kam bis zur letzten Runde. Da wurde mir empfohlen, mich bei Andrea Scherz zu melden, weil er eine Direktionsassistentin suchte.» Doch Barbara Kernen war skeptisch. Das Jobprofil, das neben der Assistenz auch die Administration unter anderem mit der gesamten Kreditorenbuchhaltung, der Verwaltung der Stockwerkeigentümerschaft und der Betreuung eines Lernenden umfasst, war ihr alles in allem zu zahlenlastig. «Ich bin viel mehr der Sprachtyp. Früher wollte ich unbedingt Dolmetscherin werden.» Zwar liege ihr Buchhaltung, «weil ich sehr pingelig bin», aber sie habe nicht direkt ein Faible für Zahlen.

Weil sich Kernen nicht meldete, ergriff Andrea Scherz die Initiative und rief sie an. «Er hat mich spontan gefragt, ob ich am nächsten Tag für ein Vorstellungsgespräch vorbeikommen könne. Ich war damals schon auf dem Weg von der Innerschweiz ans Country Festival in Gstaad und hatte nur Jeans und Pullis dabei. Aber das störte ihn nicht.» So kam es, dass Barbara Kernen an einem Samstagmorgen in legerem Outfit ins Palace marschierte, den Portier an der Drehtür freundlich grüsste, durch die grosse, eindrückliche Lobbybar schritt und mit dem Hotelchef bei traumhafter Aussicht auf die Berge einen Kaffee trank. Chef und Assistentin verstanden sich auf Anhieb. «Uns ist beiden ein ehrlicher, offener Umgang wichtig. Und wir haben den gleichen Humor», beschreibt die 42-Jährige die Gemeinsamkeiten. Das Gespräch überzeugte sie. Auch, dass Andrea Scherz vier Monate auf seine Assistentin wartete, hat sie beeindruckt. Er wollte die Stelle ab Oktober besetzen, Barbara Kernen konnte aber erst im Februar anfangen. Das war vor fünf Jahren.

Ein Nein gibt es nicht

Inzwischen gehört sie voll zur Palace-Familie. «Es ist hier wirklich wie in einer Familie. Erstens ist das Hotel als eines der wenigsten in diesem Segment immer noch in Familienbesitz und wird auch von der Familie geführt. Zweitens haben wir sehr viele langjährige Mitarbeiter», erzählt Kernen. Der Küchenchef und der Maître de Service beispielsweise sind seit rund 40 Jahren mit dabei, wenn nach der je dreimonatigen Pause im Frühling und Herbst die Palace-Saison wieder startet. «Das ist immer ein sehr emotionaler, aufregender Moment, wenn wir den Betrieb innerhalb von zwei Tagen von den rund 50 permanenten Mitarbeitern auf 300 Angestellte hochfahren. Und es ist immer ein freudiges Wiedersehen.» Der Kontakt zu den unterschiedlichsten Berufsgattungen, die es in einem Hotelbetrieb braucht, gefällt Kernen. «Ich bin ein geselliger Mensch und mag ein lebendiges Umfeld.» Mit den Gästen hingegen hat sie nur wenig zu tun. «Die landen per Telefon bei mir, wenn sie den Hotelbesitzer persönlich sprechen wollen. Zum Beispiel, weil sie ein Zimmer wünschen, obwohl wir ausgebucht sind.» Einen Teil davon kann sie für ihren Chef abfangen, aber der Umgang mit der anspruchsvollen Kundschaft ist delikat. «Ein Nein gibt es in einem Fünfsternehotel nicht», sagt die Assistentin.

Nach der Arbeit ist vor der Arbeit

Nur eine Art von Besuchern wird immer von Barbara Kernen persönlich betreut: «Ich mache Hotelführungen mit Schulklassen oder anderen Interessierten. Es ist eine Freude zu sehen, wie immer alle vom Haus begeistert sind. Das hilft mir, wenn es mal stressig ist.»
Obwohl die Arbeitstage von Barbara Kernen oft lang sind und sie, wie sie sagt, nie nichts zu tun hat, arbeitet sie zu normalen Bürozeiten. «Dass ich geregelte Arbeitszeiten und an den Wochenenden frei habe, ist ein grosses Privileg in der Hotellerie.» Eines, das sie schätzt. Denn Barbara Kernen ist auch neben ihrem Beruf sehr engagiert. «Mein liebstes Hobby ist Skifahren», sagt die Berglerin. Wenn unten noch Herbst ist, muss sie nicht schon auf den Gletscher. Aber sobald der erste schöne Schnee liegt, verbringt sie ihre Freizeit am liebsten auf der Piste. «Zum Saisonende bringt man mich nur noch schlecht vom Berg weg», sagt sie und lacht. Schon als Jugendliche war sie im Skiclub, früher fuhr sie «nicht einmal so schlecht Rennen» und verbrachte sogar die Mittagspausen im Schnee – zu essen gab’s ein Sandwich auf dem Sessellift. Heute ist sie weniger verbissen, doch der Sport gehört zu ihrem Leben. «Ich bin ein richtiges Winterkind und mag Kälte. Den vergangenen Sommer mit der langen Hitzeperiode fand ich anstrengend.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Für meinen Umzug in die Zentralschweiz mit 35 Jahren.

Dieses Ritual ist mir wichtig: Der Sonntag Abend zu Hause: etwas Einfaches kochen, Wäsche waschen und eine Schnulze schauen, ohne viel überlegen zu müssen.

Das möchte ich gerne können: Ich wollte immer einmal in eine Theatergruppe.

Das stimmt mich nachdenklich: Dass wir immer weniger Zeit für die wirklich wichtigen Dinge haben. Ich habe den Eindruck, dass wir der Zeit immer mehr hinterherrennen, dies ändern möchten – aber dann wieder vom Alltag überholt werden.

Das würde ich gerne noch lernen: Mehr Sprachen nebst Französisch und Englisch. Beim Italienisch hängt’s momentan ein wenig, Spanisch habe ich vor Jahren 
zu sehr mit Italienisch durcheinandergebracht. Schwedisch fasziniert mich seit jeher durch meine Cousinen und Cousins.

Diese Person würde ich gerne treffen: Die deutsche Schauspielerin und Ärztin Maria Furtwängler. Ich finde sie eine sehr faszinierende Person.

Noch immer ist sie im Skiclub, lange war sie dort ehrenamtlich Rechnungsrevisorin. Nicht gerade ihr liebstes Ämtli, «aber ich dachte, es schützt mich vor der Anfrage für ein zeitintensiveres Amt». Sie könne schlecht Nein sagen, räumt sie ein. Das erklärt wahrscheinlich ihre vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten: Im Turnverein ist sie seit bald 20 Jahren im Vorstand und betreut das Ressort Information, für die Gymnastik ist sie Wertungsrichterin an Wettkämpfen und auch bei der Dorforganisation von Gstaad sitzt sie im Vorstand. Wann sie das alles macht? «Abends und nachts», sagt sie ruhig. Dass sie auch für die Vereine vor allem im Hintergrund arbeitet, passt der Assistentin. Dass der Aufwand aber manchmal unterschätzt werde, könne frustrieren, gibt sie zu.

Die Stimme aus dem Off

Letzteres passiert ihr auch bei ihrem zweiten Hobby, dem Speakern: An Anlässen wie dem Berner Oberländischen Turnfest, an Geräteturnanlässen oder Skirennen moderiert Barbara Kernen aus dem Off. Sie führt durch den Anlass, kommentiert die Ergebnisse, stellt Athletinnen und Athleten vor. «Ich habe vor rund zehn Jahren einen Speaker-Kurs bei Swiss Olympics gemacht, den Ärmel hat es mir aber viel früher reingezogen.» Sie rede einfach gerne, begründet sie. Doch das greift zu kurz. Sie mag es, im Hintergrund die Fäden zu ziehen, eine wichtige Arbeit zu machen, aber nicht im Rampenlicht zu stehen. «Und wenn 300 Zuschauer und 250 Sportler auf einmal ruhig werden, wenn ich pssst sage, ist das schon ein tolles Gefühl.»

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