Lieber locker nehmen
«Wer mich tadelt, ist mein Lehrer», sagt man in China. Aber wer hört schon gerne, dass er etwas falsch oder schlecht gemacht hat? Bei vielen geht bei Kritik sofort der Puls hoch, die Stimmung runter und alle Verteidigungsmechanismen werden aktiviert. Doch das ist ein Fehler. Und zwar ein vermeidbarer.
«Kritik bringt uns immer weiter», meint Anna Jelen, Coach und Seminarleiterin. Und es ist dabei völlig egal, ob sie gerechtfertigt ist oder nicht. «Sie schützt uns immer vor Blindheit und lässt uns unser Verhalten überprüfen», sagt Jelen. Das hört sich gut an, aber diese Sichtweise zu verinnerlichen und auf Kritik positiv zu reagieren, ist für die meisten ziemlich schwer. Nicht selten steht einem dabei das eigene Selbstwertgefühl im Weg. Das bestimmt nämlich mit darüber, wie wir mit Kritik umgehen. «Die Wurzel des Übels liegt wie bei vielem in der Kindheit», erklärt Anna Jelen. Eltern und Lehrer denken ihrer Meinung nach viel zu selten darüber nach, wie sie Kinder kritisieren und was sie damit unter Umständen anrichten. Oft wird dabei nicht nur eine Sache oder ein Verhalten kritisiert, sondern durch die Art der Kritik gleich die ganze Person in Frage gestellt. Sätze wie «Lass das lieber, das kannst du sowieso nicht» oder «So bringst du es nie zu etwas» müssen nicht mal böse gemeint sein, aber sie richten immensen Schaden an. Kinder denken schnell, dass sie als Ganzes nicht in Ordnung sind, wenn sie so kritisiert werden. «Und wenn diese Überzeugung erstmal da ist, begleitet sie uns auch als Erwachsene», erklärt Jelen.
Keine guten Ratgeber
Egal wie selbst-bewusst, intelligent, kompetent und fähig jemand ist: Im Moment der Kritik fühlen sich die meisten dann wieder wie das kleine Kind, das denkt, es sei gar nichts wert. Kein Wunder, dass Sachlichkeit da oftmals auf der Strecke bleibt. «Wenn man merkt, dass selbst bei berechtigter Kritik sofort ganz grosse Gefühle auftauchen, dann sollte man da mal hinschauen», rät Jelen. Man muss dabei nicht unbedingt mit den Eltern ins Gericht gehen. Es reicht, bei sich selbst zu bleiben. «Jeder hat einen inneren Kritiker», sagt Jelen, und den kann man beobachten. Der innere Kritiker pendelt meist zwischen zwei Extremen: Er ist ganz laut oder sehr schweigsam. Menschen mit einem lauten Kritiker gehen selbst am härtesten mit sich in Gericht. Sie kritisieren sich innerlich ständig und das macht sie ängstlich und unsicher. Äussere Kritik wird von ihnen im schlimmsten Fall als Bestätigung im eigenen Selbsthass wahrgenommen. Eine positive Sicht auf das Gehörte ist da kaum noch möglich. Wer dagegen einen schweigsamen Kritiker in sich hat, der hinterfragt sich selbst nur selten. Äussere Kritik wird dann schnell weggewischt und kann nicht ankommen, selbst die positiven Aspekte davon nicht. Egal ob laut oder ganz leise: Die inneren Kri-tiker sind keine guten Ratgeber. «Aber wenn man weiss, wie man selbst tickt, dann kann man sich davon lösen», sagt Jelen. Wer sich immer selbst niedermacht, der kann zum Beispiel daran arbeiten, sich zu bändigen und realistischer zu betrachten. Und wer sich immer ganz super findet, ist gut beraten, sich auch mal Fehler zuzugestehen.
Lieber weniger Emotion
Seinen eigenen inneren Kritiker zu kennen und bestenfalls im Griff zu haben, ist schon die halbe Miete, wenn es darum geht, mit Kritik gut umgehen zu können. Der Rest ist vor allem eine Frage der Ruhe. Denn die gilt es zu bewahren, egal ob es um berechtige oder unangebrachte Kritik geht. «Tief durchatmen, statt zu explodieren, ist immer gut», empfiehlt Jelen. Wer ruhig bleibt und erstmal nur zuhört, gewinnt auch Zeit. Die kann man nutzen, um die Kritik einzuordnen. Ist sie berechtigt und enthält sie etwas, das einen nährt und weiterbringt? Oder ist sie aus Rage vorgebracht worden und hat keinen sachlichen Kern? Wenn man da nicht ganz schlüssig ist, kann man durchaus auch mal nachfragen, was genau gemeint ist. «Wenn es um sachliche Dinge geht, bekommt man hier eine Antwort», sagt Jelen. Wenn die Kritik emotional ist, kommt meistens nichts. «Dann ist es legitim, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden und Distanz zu schaffen», empfiehlt Jelen. Man sollte es allerdings wieder aufnehmen, wenn sich die Gemüter be-ruhigt haben, und das Problem klären. Dasselbe gilt auch, wenn die Kritik im Kern gerechtfertigt ist, aber der Ton nicht. Oder wenn man selbst merkt, das man emotional wird. «Sobald Emotionalität ins Spiel kommt, ist eine Unterbrechung immer gut, denn ohne eine Pause wird es nicht konstruktiv», sagt Jelen. Sie rät dazu, ehrlich zu sein. Wer sich überrumpelt fühlt, kann das ebenso sagen wie jemand, der Zeit zum Nachdenken braucht. «Wer Kritik äussert, erwartet ja einen Konter, und wenn der nicht kommt, dann ist der andere überrascht», sagt Jelen.
Das gilt auch für den Fall, dass die Kritik berechtigt ist oder auch nur einen kleinen Nährwert enthält. «Dann sollte man dem anderen einfach Recht geben, auch wenn es anfangs schwerfällt», sagt Jelen. Denn jeder macht Fehler und wer aus ihnen lernt, macht alles richtig. Selbst wenn man sich ertappt fühlt oder wütend wird, wer zugibt, dass der andere Recht hat und sich vielleicht sogar entschuldigt, nimmt jedem Kritiker den Wind aus den Segeln. «Und dann kann die Kommunikation richtig anfangen und damit die Suche nach einer Lösung», sagt Jelen. Am besten sei es ohnehin, Kritik nicht so ernst zu nehmen. «Wenn man solche Situationen als Spiel sieht, dann ändert sich ganz viel», meint die Expertin. Wer es schafft, Kritik nicht als Weltuntergang zu betrachten, sondern mit Lockerheit daranzugehen, kann sich ihr viel leichter stellen und betrachtet jede neue als weitere Übungseinheit. «Wer sagen kann, ich freu mich auf die nächste Kritik, hat gewonnen», steht für Jelen fest.
Regeln in Kritiksituationen
- Ruhe bewahren: Zuhören, ohne zu unterbrechen.
- Nachfragen: Bei Unverständnis um ausführliche Erläuterung bitten.
- Pause einlegen: Bei Emotionalität, egal von welcher Seite, um eine Unterbrechung bitten.
- Recht geben und sich entschuldigen: Bei angebrachter Kritik zugeben, dass der andere Recht hat, und sich entschuldigen.
- Höflich bleiben: Bei unsachlicher Kritik sich für die Meinungsäusserung bedanken und seiner Wege gehen.
Auf unsachliche Kritik reagieren
- Keine Energie verschwenden: Verteidigung ist unnötig!
- Ruhe bewahren: Sind Emotionen im Spiel, kann das Gespräch unterbrochen und zu einem anderen Zeitpunkt fortgesetzt werden.
- Fokus auf den anderen: Bis dahin kann man für sich überlegen, was das Motiv des anderen sein könnte.
- Rolle der Person für den Kritisierten: Spielt der Kritiker keine Rolle, muss das Gespräch nicht fortgesetzt werden. Tut er es doch, dann muss das geklärt werden.
- Höflichkeit ist Trumpf: Spielt der Kritiker eine Rolle, ist die Kritik aber unsachlich, dann bedankt man sich am besten für die Meinung. Und geht ohne weitere -Diskussion seiner Wege. Da wird garantiert niemand mehr etwas sagen.