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Klare Grenze zwischen Arbeit und Freizeit

Vor einem Burnout ist niemand gefeit, auch Assistenzen nicht. Eine Berufsgruppe, die viel leistet und für ihre Vorgesetzten oft rund um die Uhr erreichbar ist. Abschalten und sich distanzieren ist zwar nicht immer einfach, doch notwendig, sagt Lisa Fässler, Beraterin und Projektleiterin im Bereich betriebliches Gesundheitsmanagement.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, auch wenn eine neue Generation von ­Arbeitnehmenden vermehrt «nur» noch Teilzeit arbeiten möchte. Wie sehen Sie das?

Lisa Fässler: Arbeitnehmende, die kurz vor der Pensionierung stehen, entstammen der Generation Babyboomer, in der, überspitzt gesagt, gelebt wurde, um zu arbeiten. Die meisten Arbeitnehmenden sind nach wie vor leistungsorientiert und schrecken auch vor herausfordernder Arbeit nicht zurück, allerdings wollen Jüngere, dass Arbeit sinngebend sein und Spass machen soll. Jüngere Arbeitnehmende definieren den Begriff Leistung zudem meistens breiter als ältere, da «Leistung» vermehrt auf das ganze Leben bezogen wird und nicht mehr nur auf die Arbeitsleistung. Deshalb ist für viele jüngere Arbeitnehmende das Erreichen einer gesunden Work-Life-Balance ein attraktiveres Leistungsziel, als nur bei der Arbeit Leistung zu erzielen.

Auch Assistenzen leisten viel. Oft ­arbeiten sie 100 Prozent und sind für Vorgesetzte fast rund um die Uhr erreichbar. Wie schützen sich Mitarbeitende mit solchen Jobs vor einem Burnout?

Am besten ist es, bei der Prävention anzufangen und nicht erst, wenn bereits erste Symptome auftreten. Dazu sollte man genau hinschauen, ob die übertragenen Aufgaben mit den eigenen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten übereinstimmen. Auch ein erhöhtes Arbeitsaufkommen ohne ­Aussicht auf mittelfristige Besserung oder ein sich veränderndes soziales Umfeld durch Fluktuation sind Gründe, die Arbeitsorganisation und die Zusammenarbeit zu überdenken und gegebenenfalls Massnahmen zu treffen. Das betrifft beispielsweise die Aufgaben­verteilung, die Ablaufplanung oder den Aufbau eines effektiven Selbstmanagements. Auch das Abschalten nach der Arbeit gehört dazu sowie die kommunikative Kompetenz, auch mal Nein zu sagen, um verschwimmende Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit möglichst zu vermeiden.

Burnouts haben unterschiedliche Phasen und kommen meist schleichend daher. Wie merkt man, dass jemand – etwa der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte, die Kolleginnen und Kollegen oder man selbst in ein Burnout schlittert?

Frühe Warnzeichen zeigen sich oft in einem hohen Workload, der mit entsprechenden Überstunden einhergeht. Dafür werden Verabredungen mit Freunden oder Familie abgesagt. Auch die fehlende Abgrenzung ist ein Indikator. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass jemand spät abends oder am Wochenende noch E-Mails beantwortet, die bis zum nächsten regulären Arbeitstag ­hätten warten können. Bei sich selbst merkt man es, wenn man beginnt, während der Freizeit über die Arbeit zu sinnieren, und nicht mehr aus dem Gedankenkarussell herauskommt. Weitere Anzeichen sind Konzentrationsschwierigkeiten bei einfachen Auf­gaben und das Entwickeln einer zynischen ­und negativen Haltung gegenüber Kolleginnen und Kollegen.

Welche Altersgruppen sind besonders von einem Burnout betroffen?

Generell zeigt sich, dass es mit zunehmendem Alter mehr Betroffene gibt, was aber nicht heisst, dass jüngere Arbeitnehmende immun sind gegen ein Burnout. Ein Grund dafür könnte sein, dass ältere Arbeitnehmende versuchen, ihren Wert in einer Arbeitswelt mit vielen neuen Technologien zu erhalten, indem sie Überstunden machen, um mögliche abnehmende kognitiven Fähigkeiten bei neuen Aufgaben zu kompensieren. Für viele ältere Arbeitnehmende stellen die verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit durch ständige Erreichbarkeit und neue Arbeitsmodelle zudem eine Herausforderung dar, da sie sich an andere Arbeitsmodelle und -umstände gewöhnt sind.

Inwiefern ist die Digitalisierung schuld daran?

Weil Arbeiten mittlerweile von fast überall aus möglich ist, wird es zunehmend schwieriger, eine klare Grenze zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen. Mittels Push-Nachrichten auf dem Handy auf neue E-Mails aufmerksam gemacht zu werden oder am Laptop spät abends noch etwas erledigen zu ­können, baut bei vielen Menschen die ­Erwartungshaltung auf, jemand müsse sofort reagieren. Dieser Druck führt insbesondere bei Personen, die sich nicht gut abgrenzen können oder es immer allen recht machen wollen, zu immer mehr Stress und letztendlich zu einem Burnout.

Inwiefern sind Burnouts heilbar?

Grundsätzlich gilt, je früher ein Burnout erkannt und gehandelt wird, desto besser stehen die Heilungschancen. Oft reichen in einem frühen Stadium schon niederschwellige Interventionen wie Coaching oder Selbsthilfegruppen. Wichtig ist, dass die betroffene Person lernt, künftig besser mit Belastungen umzugehen, Ressourcen aufzubauen und Anlaufstellen kennt, wenn es zu viel wird. Wird ein Burnout jedoch lange Zeit nicht erkannt oder werden die Warnzeichen ignoriert, kann es sein, dass der Körper irgendwann streikt oder sich eine Depression manifestiert. Das kann zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit führen und macht schwerwiegende Massnahmen wie beispielsweise einen Klinikaufenthalt notwendig. Es ist daher ratsam, sich möglichst früh professionelle Hilfe und Unterstützung zu suchen, um Langzeitschäden zu vermeiden.

Ist unsere Gesellschaft zu wenig widerstandsfähig oder übersensibel?

Unsere Gesellschaft sowie die Arbeitswelt befinden sich in einem ständigen Wandel: Es wird mehr über die psychische Gesundheit gesprochen als noch vor einigen Jahrzehnten. Das hilft, Probleme sichtbar zu machen, es braucht aber auch adäquate Bewältigungsstrategien, um sich in der neuen Arbeitswelt zurechtzufinden. Viele Personen haben zu wenig oder falsche Strategien, um mit stressigen Situationen umzugehen, und müssen diese erst entwickeln. Es ist ein schmaler Grat zwischen dem Schutz vor übermässigem Stress durch den Arbeitgeber und dem langsamen Heranführen an die eigene Verantwortung, auch für die eigene Gesundheit.

Resilienz ist das Wort der Stunde. Wie werden wir widerstandsfähiger?

Der Aufbau eigener Ressourcen ist zentral. Es ist wichtig, längerfristige Strategien zur Erhaltung und Förderung der eigenen Belastbarkeit zu entwickeln. Das kann durch Bewegung und Sport, eine gesunde, abwechslungsreiche Ernährung und genügend Schlaf erreicht werden. Auch die Pflege der sozialen Kontakte und positive Interaktionen sowie ein regelmässiger Ausgleich durch Hobbys und Freizeitaktivitäten helfen, die eigene Widerstandsfähigkeit zu stärken. Zudem sollte man lernen, die kleinen Dinge des Alltags bewusst zu geniessen, etwa durch Entspannungstechniken wie Achtsamkeitsübungen, das Führen eines Tagebuchs oder einen Spaziergang in der Natur. 

Und wie können wir Stress abbauen?

Nicht alle Stressoren können vermieden, abgebaut oder vermindert werden. Es ist deshalb unvermeidlich, dass Stressreaktionen immer wieder auftreten. Körperliche und emotionale Reaktionen kann man aber dämpfen und abbauen, indem man beispielsweise tief durchatmet und den Arbeitsplatz kurz verlässt, um eine neue Perspektive zu gewinnen. Auch die Treppen hoch und runter zu rennen kann helfen, körperliche Anspannung abzubauen. Um emotionale Anspannung zu minimieren, nützt das Anschauen lustiger Videos, die einen zum Lachen bringen. 

Tipps und Tricks, wie wir grundsätzlich am Arbeitsplatz gesund bleiben?

Die mentale Gesundheit beeinflusst die physische und umgekehrt. So kann eine ergonomische Einrichtung des Arbeitsplatzes helfen, unnötigem Stress vorzubeugen. Am Arbeitsplatz sollte zudem über die physische wie auch die psychische Gesundheit gesprochen werden, um das Stigma zu brechen, dass man immer zu 100 Prozent leistungsfähig sein muss. Auch hinschauen und ansprechen, wenn einem bei Arbeitskolleginnen oder -kollegen eine Verhaltensänderung auffällt, helfen, Massnahmen zu treffen oder Unterstützungsangebote einzuleiten, damit es nicht zu einem Ausfall aufgrund eines Burnouts kommt.

Lisa Fässler

Seit dem Abschluss des Psychologiestudiums an der Universität Zürich (2021) mit einem Schwerpunkt in angewandter Sozial- und Gesundheitspsychologie ist Lisa Fässler als Beraterin und Projektleiterin im Bereich betriebliches Gesundheitsmanagement tätig. Ihre Schwerpunkte sind die Beratung von Firmen zum Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement, Fehlzeitenmanagement und die Schulung von Mitarbeitenden und Führungskräften in den Bereichen Stressmanagement und Burnout-Prävention, resiliente Führung und Schutz der persönlichen Integrität.

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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