Work-Life-Balance

In der Balance statt aus dem Tritt

Arbeit, Familie, Freunde, Hobbys, Sport, Haushalt: Wer das alles unter einen Hut bringen will, fühlt sich nicht selten wie ein Jongleur. Und zwar einer, der nach und nach alle Bälle verliert. Kein Wunder, dass Work-Life-Balance das Zauberwort der Stunde ist. Aber gibt es dafür überhaupt ein Patent­rezept?  

Hetzen Sie auch von morgens bis abends nur durch die Gegend, haben kaum Zeit für Hobbys, Sport, Freunde oder gar Entspannung und freuen sich nur noch auf die Wochenenden oder die Ferien? Willkommen im täglichen Hamsterrad. Die Work-Life-Balance stimmt nicht, wird dann oft gesagt, so als sei es die Arbeit, die dem Leben im Weg steht. Aber lassen sich Arbeit und Leben überhaupt trennen? «Eigentlich nicht, denn Arbeit ist ein Teil des Lebens», sagt Thomas Schäfer. Er ist Dozent und Berater für Philosophie und Ethik, unter anderem an der School of Life Berlin (siehe Kasten). Voneinander abgrenzen könne man höchs­tens die zwei Lebensbereiche Erwerbsarbeit und Freizeit. «Das eine ist für viele einfach nur notwendig und das andere sinnstiftend», sagt er.

Wohlbefinden als Gradmesser

Aber es gibt auch die Menschen, die erst richtig aufblühen, wenn sie viel arbeiten. Die sich in ihrer Freizeit gerne mit Fachfragen auseinandersetzen. Für die sei auch der Beruf sinnstiftend. «Die Frage nach der richtigen Work-Life-Balance ist deshalb immer eine ganz individuelle», erklärt Schäfer. «Wer in seinem Beruf einen relevanten Lebensinhalt sieht, der soll ruhig viel arbeiten, denn das tut ihm gut.» Die Kunst sei, alles so zu organisieren, dass die verschiedenen Lebensbereiche nach den eigenen Prioritäten stimmig ausbalanciert sind. Eine Formel dafür gibt es Schäfers Meinung nach nicht: «Der einzige Gradmesser für eine gute Balance ist das eigene Wohlbefinden.» Und in der Regel spüre man, was einem gut tue und was nicht. «Wer sich achtsam wahrnimmt, der merkt das», ist er sich sicher. Jeder Mensch setzt eigene Schwerpunkte im Leben. Der eine hat Kinder, die andere findet ihre Erfüllung im Beruf, wieder andere brauchen täglich Bewegung oder Zeit zum Musikmachen.

«Niemand muss irgendetwas. Alles, was wir tun, ist unsere Entscheidung.»

«Wichtig ist, dass man sich selbst kennt und seine eigenen Prioritäten setzt», so Schäfer. Denn wir können nicht alles gleichzeitig machen, und schon gar nicht alles gleichzeitig besonders gut. Wer viel Zeit mit der Arbeit und dann auch noch mit der Familie verbringt, wird wahrscheinlich kein so guter Klavierspieler wie der, der sich dafür jeden Tag Zeit nehmen kann. Muss er aber auch nicht. «Work-Life-Balance heisst nur ausbalancieren, Anspruch muss da nicht sein», betont der Philosoph. Andersherum macht viel Arbeit ganz sicher den zufriedener, dem sie wichtig ist, als den, der sie als Zwang empfindet. Seinen Schülern legt er Folgendes nahe: «Am besten geht es uns, wenn wir selbst entscheiden, was wir besonders gut machen wollen, und das dann auch tun können.» Denn einer der Glücksfaktoren im Leben sei, die eigene Selbstwirksamkeit im Tun zu erfahren. So betrachtet, gibt es vielleicht doch eine Formel für die richtige Work-Life-Balance: Wer macht, was er tut, weil er das so entschieden hat, dem geht es gut.

Regisseur des eigenen Lebens werden

Aber warum gelingt uns das dann so selten? Schwierig wird es meist dann, wenn wir zu viele Dinge machen möchten oder meinen, zu viele Dinge machen zu müssen. Um das dann auszubalancieren, ist ein Blick von oben sinnvoll. «Man kann sich selbst zum Regisseur machen und die verschiedenen Anteile in sich als Akteure wahrnehmen», empfiehlt Schäfer. Als Regisseur betrachtet man das grosse Ganze und hat alle verschiedenen Anteile im Blick. Der Regisseur weiss, was alles anliegt, und entscheidet, was gerade wichtig ist. «Dann kann man dem mosernden Musikakteur in sich selbst klar sagen, dass er sich gedulden muss, weil erst einmal der Arbeitsakteur Vorrang hat.» Allerdings sollte der Musikakteur nicht ewig auf die Wartebank gesetzt werden. Und falls doch, dann nur mit einer klaren Entscheidung. «Alles machen und das auch noch gleichzeitig geht ganz sicher nicht», weiss Schäfer. Manches, das in uns schlummert, werden wir nie verwirklichen, aber wenn wir uns dessen bewusst sind und uns bewusst für etwas anderes entschieden haben, ist das gar nicht so schlimm.  

Falsche Ideale und äussere Zwänge

Ein Ziel zu haben, ist eine gute Sache. Es kann uns aber auch gehörig unter Druck setzen. «Wer sich ständig zu hohe oder unerreichbare Ziele setzt, überfordert sich», warnt Schäfer. Zudem kämen solche inneren Ideale oft auch von aussen und nicht aus uns selbst. «Da sollte man genau hinschauen», empfiehlt er. Denn wer einem Ideal hinterherläuft, das ihm von den Eltern oder dem Umfeld vermittelt wurde, vernachlässigt vielleicht die Dinge, die ihn eigentlich zufrieden machen würden. Doch auch dann kann man sich selbst helfen. «Mit sich selbst ehrlich sein ist immer gut», ist der Tipp des Fachmanns. Ebenso können äussere Zwänge auf den ersten Blick eine gute Balance verhindern. Der Chef möchte nun mal, dass man am Wochenende auf eine Messe fährt, die Kinder wollen aber auch, dass man für sie da ist, der Partner wünscht sich dringend mal wieder Zeit zu zweit – und man selbst? Möchte einfach nur seine Ruhe haben. Die eigene Selbstbestimmtheit scheint in solchen Situationen weit entfernt. Doch dem ist gar nicht so. «Niemand muss irgendetwas. Alles, was wir tun, ist unsere Entscheidung», gibt Schäfer zu Bedenken. Auch für die Dinge, die wir als stressig oder störend empfinden, haben wir uns ihm zufolge aus welchen Gründen auch immer entschieden. Das merkt man schnell, wenn man sich der Gründe bewusst wird, weshalb man Dinge macht, die einem auf den ers­ten Blick nicht guttun. Selbst wenn die Arbeit nervt und man mit ihr hadert, es gibt einen Grund, warum man jeden Tag hingeht: Man verdient damit das Geld, das man nun mal braucht. «Und wir tun gut daran, uns solche Gründe zuzugestehen, denn sie machen es uns leichter, in den sauren Apfel zu beissen», weiss Schäfer.

Zu viel des Guten

Wer sich überfordert und erschöpft fühlt, wünscht sich meist erst einmal nur Ruhe und Zeit für sich. Ist die aber dann da, heisst das nicht, dass man sie nur mit Nichtstun und Musse füllt. Das weiss jeder, der schon mal länger Ferien hatte. Irgendwann wird das Nichtstun den meisten langweilig und selbst wer Strandferien geplant hat, liest wahrscheinlich zwischendurch ein Buch oder fährt zum Sightseeing in die nächste Stadt. «Musse an sich muss kein Glücksfaktor sein», räumt Schäfer mit einem Vorurteil auf. Es scheint uns nur so, wenn wir zu wenig davon haben. Denn wie in allen anderen Bereichen des Lebens gilt es auch hier, die richtige Balance zu finden. Und auch das ist eine Formel, die man sich merken kann: Zu viel von einem heisst meist zu wenig vom anderen.  

The School of Life

The School of Life wurde vor acht Jahren in London vom Philosophen und Bestsellerautoren Alain de Botton gegründet. In seiner Schule sollte das auf dem Lehrplan stehen, was sonst nirgendwo unterrichtet wird: wie man ein gutes und erfülltes Leben führt. In ihren Kursen und Seminaren bedient sich die School of Life – frei von jeder Ideologie und jedem Dogma – hilfreicher Ideen aus Philosophie, Psychologie, Psychoanalyse, Literatur und Kunst. Inzwischen gibt es sie an zwölf Standorten, unter anderem in Berlin, Amsterdam, Paris, Melbourne und Sao Paulo. theschooloflife.com

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