Führen ohne Weisungsbefugnis

Im Auftrag des Chefs

Assistentinnen sind oftmals in der undankbaren Situation, Arbeiten einfordern zu müssen – ohne Weisungs- oder Anordnungsbefugnis. Die Arbeit wird oft als anstrengend und wenig geachtet erlebt. Obwohl häufig ohne ­Vor­gesetztenfunktion, haben sie eine sehr verantwortungsvolle Rolle im Unternehmen.

Im Gespräch mit Assistentinnen fällt oft das Wort «koordinieren»: Die Termine der Ge­schäfts­leitung werden koordiniert, die wöchentlichen Sitzungen der Projektleiter, der monatliche Zusammenzug der Umsatzreports und so weiter. Eine anstrengende und mühsame Arbeit ist dies. Es braucht viel Aufwand, allen Sachen hinterherzurennen. Manchmal hilft nur noch das Argu­ment: «Weil der Chef es so will!» Koordinieren heisst, verschiedene widersprüchliche Positionen und Interessen auf einen Nenner zu bringen. Es macht Sinn, «Koordination» durch «Führung» zu ersetzen. Warum?

Führen heisst, Einfluss nehmen

Führen ist aktiver als koordinieren. Wer führt, übernimmt Verantwortung. Führen heisst, ­Einfluss zu nehmen und das Gespräch bewusst zu gestalten, jemanden in eine gewünschte Richtung zu bewegen. Assistentinnen arbeiten häufig mit Personen aus anderen Abteilungen, anderen Hierarchieebenen (zumeist auch höheren) und unterschiedlichen Funktionen zusammen, gegenüber denen sie keine Weisungsbefugnis besitzen. Die Kunst der Kommunikation und des Verhandelns rückt damit in den Fokus. Und damit die ­Beziehungsarbeit.

In der Kommunikation unterscheiden wir ­zwischen der Sachebene und der Beziehungsebene. Auf der Sachebene findet der inhaltliche Teil der Interaktion statt: Es werden ­Termine, Aufträge, Verantwortlichkeiten und so weiter festgelegt. Menschen sind soziale Wesen und kommunizieren miteinander.

Die Beziehung ist entscheidend

Das Argument «Lassen Sie uns das doch rein sachlich diskutieren» ist folglich ein schwarzer Schimmel: Die Beziehung ist in jeder Kommunikation enthalten. Wir diskutieren und sind somit in Beziehung. Wie gut diese funktioniert (oder eben nicht), bestimmt, ob wir erfolgreich gemeinsame Ziele erreichen. Die Beziehungs­ebene ist, und das macht sie wesentlich schwieriger zu interpretieren, weniger fassbar als die Sachebene. Sie wirkt im Verborgenen –  und spielt darum eine gewichtige Rolle.

Auch im Alltag von Assistentinnen läuft nicht immer alles glatt: Reports werden nicht rechtzeitig eingereicht, und dadurch können die Daten nicht ausreichend analysiert werden, Verhandlungen werden blockiert, indem Sitzungstermine immer wieder verschoben werden, und so weiter.

Wenn es auf der Sachebene harzt, liegt die Ursache oft auf der Beziehungsebene. Oft reagiert man nämlich in solchen Situationen mit Ungeduld und Ärger. Möglicherweise droht man sogar: «Der Chef wird gar nicht glücklich sein, wenn Sie den Beitrag nicht rechtzeitig einreichen. Da müssen Sie wohl mit Konsequenzen rechnen!» Damit wird die Beziehungsebene stark gestört und gewonnen ist nichts.

Konstruktiv gegen Widerstand

Wer erfolgreich führen will, sucht den konstruktiven Umgang mit Widerstand und beachtet neben der Sachebene auch die Beziehungsebene. Das tut man, indem man Fragen stellt und aktiv zuhört: Was ist für den anderen wichtig? Was sind seine Interessen, Bedürfnisse und Anliegen? Wo liegen die Ursachen für den Widerstand? Wenn Führen bedeutet, den anderen zu bewegen (siehe oben), muss ich vorerst wissen, wo der andere steht, was ihn antreibt und warum er blockiert.

Zugegeben, das sind anspruchsvolle Situa­tionen – zusätzliche schwierig, wenn man Ball im politischen Spiel zweier mächtiger Akteure ist. Eine erfolgreich gemeisterte «Beziehungskrise» jedoch schafft Klärung und erleichtert die künftige Zusammenarbeit. Welche Regeln soll man im Gespräch beachten?

Die wichtigsten Regeln

Gleichgültig, ob man das Verhalten einer Person mag oder nicht: Nie mit einem Urteil, einer Drohung oder einem persönlichen Angriff ­beginnen. Der Start ins Gespräch soll sich auf Fakten beziehen. Ein Beispiel. Nicht: «Sie sind ja inzwischen bekannt als einer, der alles zu spät schickt», sondern: «Wir haben morgen Geschäftsleitungssitzung. Wir hatten vereinbart, dass alle ihren Bericht bis gestern ein­reichen.»

Danach kann man durchaus mit einer emo­tionalen Aussage anschliessen … immer aber in der Ich-Form. Nicht: «Wenn Sie rechtzeitig abliefern würden, hätten Sie jetzt mehr Zeit und ich weniger Stress!», sondern: «Für mich ist es sehr aufwändig und unangenehm, ­diesen Reports hinterherzurennen.» Solche Beschreibungen der eigenen Gefühle – nicht angreifend und aufbrausend, sondern in einer ruhigen und reflektierten Art – sind wichtig, um wirkungsvoll Beziehungen aufzubauen, zu verbessern und zu festigen.

So kommen Sie zum Ziel

  • Führen Sie, anstatt zu koordinieren
  • Beachten Sie vor allem die Beziehungsebene: Funktioniert diese, dann klappt's meistens auch auf der Sachebene
  • Bauen Sie zu den wichtigsten Ansprechpersonen und deren Umfeld vertrauensvolle Beziehungen auf
  • Reden Sie klar, aber nicht arrogant
  • Argumentieren Sie und lassen Sie Drohungen weg  («Mein Chef will …»)
  • Seien Sie sich Ihrer Rolle und Ihrer Wirkung bewusst
  • Versuchen Sie zu verstehen, was die Situation und das Interesse des anderen ist
  • Je schwieriger das Gespräch, desto besser die Vorbereitung
  • Starten Sie bei sich selbst

Andere zu Wort kommen lassen

Ein Gespräch ist nur dann ein Gespräch, wenn der andere auch zu Wort kommt und seine Position erläutern kann. Das heisst, dass man zuhören muss, dass man offen sein soll, die Situation des Gegenübers «neutral» anzu­hören und nicht sofort zu (ver)urteilen. In dieser Phase werden Lösungen verhandelt. Trotz des möglichen Ärgers gilt es, konstruktiv zu sein: Die Sachebene muss jetzt gelöst werden, die Beziehungsebene darf nicht leiden.

Zum Schluss des Gesprächs sagt man, was einem wichtig ist und was man gerne möchte: «Bitte verstehen Sie, dass eine gute Vorbereitung der Sitzung sehr wichtig ist. Ich möchte, dass auch Ihr Input von den anderen Teilnehmern vorab gelesen werden kann. Ich wünsche mir, dass Sie mir den Report künftig rechtzeitig mailen.» Damit deckt man sowohl die Sach- wie Beziehungsebene ab. Das ­Gegenüber fühlt sich ernst genommen und erkennt die eigene Verpflichtung. Je schwieriger die Diskussion, desto besser muss man sich vorbereiten.

Führen Sie sich selbst!

Wer sich bewusst ist, wie er wirkt, wo seine Stärken liegen, wer weiss, wie man erfolgreich kommuniziert, der kann bewusster ­Einfluss nehmen und wird Ziele besser und schneller erreichen sowie tragfähigere Be­ziehungen pflegen. Natürlich ist dies ein Lernprozess. Sich ohne Weisungsbefugnis Gehör zu verschaffen, ist eine anspruchsvolle kommunikative Leistung.

Ob die Assistentin akzeptiert wird, hängt schliesslich nicht von ihrer hierarchischen ­Position ab, sondern vorwiegend von der persönlichen Wirkung und der Führungsarbeit. Den anderen kann man nicht so leicht ändern, aber die eigene Einstellung und Beziehung zum anderen sehr wohl – und diese Arbeit startet bei einem selbst: Reflektieren, aus ­vergangenen Projekten lernen, andere um Feedback fragen und sich so selbst weiter­-ent­wickeln. Auf diese Weise wird die anstrengende Koordinationsaufgabe zu einer inte­ressanten (Selbst-)Führungsarbeit.

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René Weber ist Institutsleiter von Athemia – Institut für Führung und Beziehungs­management. Athemia ist Teil der Kalaidos Fachhochschule Schweiz.

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