Porträt

«Ich bin seine dritte Gehirnhälfte»

Simone Kind hat eine glänzende Bankenkarriere eingeschlagen und arbeitet heute als Assistentin von Credit-Suisse-CEO Tidjane Thiam.

Dass Simone Kind nicht in einem gewöhnlichen Büro arbeitet, wird bereits beim Empfang deutlich. Im altehrwürdigen Hauptgebäude der Credit Suisse am Paradeplatz begrüsst ein freundlicher Herr im Anzug die Besucher, meldet sie telefonisch an und bestellt ihnen den Lift. Eine Fahrt, ein Aufstieg in eine andere Welt, weit weg vom Lärm auf dem Paradeplatz. Oben wartet ein zweiter Herr darauf, die Mäntel abzunehmen, die Besucher in den gewünschten Raum zu führen und ihnen Getränke anzubieten.

Es ist still auf dem weitläufigen Korridor, die Türen zu den Büros stehen offen und das Haus aus dem Jahr 1876 strahlt Ruhe und Erhabenheit aus. Die Chefetage der Credit Suisse. Hier arbeitet Simone Kind im Vorzimmer des wichtigsten Büros: Sie ist die Assistentin von CEO Tidjane Thiam. «Gerne einen Ingwertee mit Honig», bestellt sie in sympathischem Liechtensteiner Dialekt und nimmt Platz in einem eindrücklichen Sitzungszimmer. Ihr Job? «Das Tempo ist wie im Film ‹Der Teufel trägt Prada›. Das ist nicht übertrieben. Mit dem grossen Unterschied, dass mein Chef mir gegenüber sehr viel Wertschätzung zeigt.»

«Er hat die Begabung, dass sich Menschen in seiner Nähe wohlfühlen.»

Die 39-Jährige hat sich ihren Vorgesetzten selbstbewusst ausgesucht. Sie arbeitet seit über zwanzig Jahren im Banking, zehn davon bei der Credit Suisse. Als Tidjane Thiam 2015 intern als neuer CEO vorgestellt wurde, genügte es ihr nicht, dessen Rede am Bildschirm mitzuverfolgen. Sie machte sich auf den Weg ins Auditorium am Paradeplatz. «Ich wollte ihn mir anschauen.» Was sie sah und hörte, überzeugte sie. Sie wusste sofort, dass sie für Thiam arbeiten will. Noch am gleichen Abend aktualisierte sie ihren Lebenslauf und schrieb eine Bewerbung. «Dabei hatte ich eigentlich einen sensationellen Job. Als Assis­tentin des Leiters des Schweizer Handelsgeschäfts im Uetlihof war ich extrem involviert und konnte mich einbringen.»

Kind war selber lange im Handel tätig und hat als Vermögensberaterin im In- und Ausland gearbeitet. «Ich mag die Hektik der Börse, die Schnelllebigkeit.» Trotzdem bewarb sie sich als Assistentin für den neuen CEO. «Tidjane Thiam hat die Begabung, dass sich Menschen in seiner Nähe wohlfühlen», erzählt sie. Dies zeigte sich beim ersten persönlichen Gespräch. Die Nervosität verflog sofort.

Ein Pensum für zwei

Kind hatte nicht die längste Erfahrung als Assistentin vorzuweisen, aber sie war überzeugt, dass ihr Rucksack an Wissen ein Vorteil ist. «Ich bin sehr selbstbewusst und habe keine Probleme damit, zu sagen, was ich denke.» Aufgrund des Pensums war anfangs die Rede davon, dass zwei Assistentinnen sich den Job teilen. Das kam für Kind aber nicht in Frage. Zu umständlich und langwierig stellte sie sich die Koordination vor. Sie mag Tempo und sie mag es, selbständig zu arbeiten. Allein ist sie heute trotzdem nicht: Sie ist Teil eines kleinen Teams, das den CEO im Tagesgeschäft unterstützt. Direkt mit ihr zusammen arbeiten der Chief of Staff und ein Business Manager. «Wir sind ein gut eingespieltes Team. Jeder von uns hat seine Stärken, einer schreibt die Reden, ein anderer macht die Kundenbriefings. Ich bin vor allem für das Logistische zuständig und halte die Fäden in der Hand.»

Mit klassischen Assistenzaufgaben wie Kostenabrechnungen, dem Buchen von Reisen oder dem Schreiben von Protokollen hat Kind wenig zu tun. Und trotzdem kümmert sie sich auch einmal um einen Kaffee für den Chef. Dass Assistenzstellen mitunter aus solchen Gründen oft nicht genügend ernst genommen werden, hat Simone Kind selbst schon erlebt. Als sie 2012 Assistentin des Leiters des Schweizer Handelsgeschäfts wurde, betrachteten einige ihrer Kollegen dies als Abstieg nach einer glänzend eingeschlagenen Bankenkarriere. «Das meist veraltete Bild, das viele von Assistenzstellen haben, stört mich», sagt sie ruhig und nippt an ihrem Tee. «Die Arbeit als Assis­tentin ist äusserst anspruchsvoll und erfordert extrem viel Organisationstalent.»

Wie ein Orakel funktionieren

Was es bedeutet, den Job auf dem Niveau zu machen, auf dem Kind heute arbeitet, konnte aber auch sie nicht abschätzen. «Mein Start hier war eine Bombe. Ich habe das ganze Leben von Tidjane Thiam in der Schweiz organisiert und war praktisch Tag und Nacht im Büro.» Seit Simone Kind die Stelle im Juni 2015 antrat, ist sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr abrufbereit. «Das Handy ist ein Körperteil von mir geworden.» Sie ist morgens um sieben Uhr vor ihrem Chef im Büro und verlässt es abends erst nach ihm. «In gewisser Weise steht er in meinem Leben an erster Stelle», beschreibt sie die Situation.

Ihr Partner hat Verständnis; er hat selbst bei der Credit Suisse am Paradeplatz gearbeitet und kennt die Verhältnisse. Gut zu sein bedeute, wie ein Orakel zu funktionieren, beschreibt sie ihre Aufgabe. «Ich habe hier den engsten Kontakt zu Tidjane Thiam, ich weiss, was ihn beschäftigt, woran er denkt.» Sie sei immer einen Schritt voraus, um das Eine in die Wege zu leiten und ihn vor Anderem abzuschirmen. «Ich bin seine dritte Hirnhälfte.» Jeden Tag geht es darum, die richtigen Prioritäten zu setzen. Das ist das A und O. Ihr Chef kann ihr dabei nicht helfen, ihm fehlt schlicht die Zeit dazu. «Ich habe darum einen Fragezettel entwickelt, bei dem er nur ‹Ja› oder ‹Nein› ankreuzen muss.» Keine Minute am Tag, in der die Assistentin nicht weiss, wo der CEO gerade sitzt, kein Schritt, über den sie nicht informiert ist. Geht nicht gibt’s nicht in dieser Welt. «Ich habe in dieser Position schon viele Aufgaben gemeis­tert, von denen ich eigentlich überzeugt war, dass sie sich nicht meistern lassen.» Manchmal helfe es da schon, im Zentrum der Macht zu sitzen, gibt Kind zu. Verglichen mit anderen Assistenzstellen habe sie auch viel mehr Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen. «Die ganze Welt kennt Tidjane Thiam», sagt sie nur. Diskretion hat oberstes Gebot. Nur so viel: «Es ist eine andere Welt und es ist spannend, einen Einblick darin zu haben.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich Mut gebraucht: Ich bin rasch angespornt, meine Grenzen zu überwinden. Als Kind sprang ich vom Fünfmeter, nur weil sich die Buben nicht trauten.
Das würde ich gerne können: In die Vergangenheit reisen und mein altes Ich kennenlernen.
Das kann ich nicht gut: Verlieren. Sogar beim Monopoly mit den Kindern fällt es mir schwer.
Das macht mir Sorgen: Der Populismus und sein Einfluss auf die Demokratie. Es ist erschreckend, wenn Meinungen aufgrund von Social Media Posts statt auf Basis von soliden Informationen gebildet werden.
Diese Person würde ich gerne treffen: Nikola Tesla und Stephen Hawking zusammen. 

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