Homeoffice über alles?
Kein anderes Wort hat das vergangene Jahr so geprägt wie «Homeoffice». Das zeigen nicht nur die Suchanfragen im Internet, die sich verdoppelt haben, sondern auch unzählige Studien, die dazu im letzten Jahr publiziert wurden. Schenkt man diesen Glauben, wird die Arbeitswelt nach der Pandemie deutlich flexibilisiert sein und Firmen dürften ihren Mitarbeitenden vermehrt Homeoffice-Tage gewähren. Eine Auslegeordnung.
Mitarbeitende wollen nicht mehr auf ihre neugewonnene Freiheit im Homeoffice verzichten. Das zeigt eine aktuell Citrix-Studie, für die 3750 Bürobeschäftigte aus UK, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden befragt wurden. Firmen, die dennoch auf 100 Prozent Anwesenheit beharren, dürften bei ihren Beschäftigten auf Widerstand stossen. So wollen 57 Prozent der Schweizer Befragten nach der Pandemie teils von zu Hause aus und teils vor Ort arbeiten. Nur 15 Prozent bevorzugen gemäss der Studie eine ständige Vorort-Präsenz im Büro. Zudem sagten rund 40 Prozent der Arbeitnehmenden, sie würden eine Arbeitsstelle ablehnen, wenn sie nicht von zu Hause aus arbeiten dürften. 46 Prozent forderten sogar ein gesetzlich verankertes Recht auf Homeoffice und Remote Work.
Dass Remote Work als Arbeitsform grösstenteils erhalten bleibt, bestätigt die von-Rundstedt-Studie «Smart Working in der Schweiz», für die Führungskräfte in 534 Schweizer Betrieben befragt wurden. Gemäss der Studie gehört Homeoffice in fast allen Betrieben bereits zum Alltag: So bekräftigten 69 Prozent der Führungskräfte, dass dieses Arbeitsmodell im Betrieb zwar verankert würde, künftig aber weniger intensiv genutzt werde. Nur sechs Prozent der Vorgesetzten hielten Homeoffice und Remote Work für temporäre Erscheinungen. Eine Minderheit von 15 Prozent ortete dagegen ein weiteres Steigerungspotenzial.
Obschon die Arbeit im Homeoffice häufiger erfolgen wird, hat die Arbeit am Geschäftssitz nicht ausgedient: «Mitarbeitende benötigen einen direkten Kontakt. Nur so können sie implizites Wissen austauschen und Konflikte sachlich ohne Online-Enthemmungseffekt klären.» Daneben wirke die Büropräsenz identitätsstiftend: Der Austausch im Arbeitsumfeld vermittle soziale Normen sowie die Freude an der Tätigkeit. Für Ueli Mäder, Soziologe und emeritierter Professor der Universität Basel, ist weniger Büroanwesenheit dagegen manchmal sogar mehr: «Das Miteinander an einem Ort, kann inspirieren, verlangt aber auch Phasen des Rückzugs.»
Zu viel oder zu wenig?
Trotz des Wunsches, ortsunabhängiger zu arbeiten, ist es nicht unproblematisch, Arbeitstage häufig im Homeoffice zu verbringen, wie eine Studie des Elektronikunternehmens Sharp zeigt, bei der 6000 Büroangestellte aus europäischen KMU befragt wurden. So sorgten sich 33 Prozent der Teilnehmenden um eine angemessene Work-Life-Balance, während 23 Prozent befürchteten, ihre Sozialkompetenz sinke aufgrund ihrer Isolation. Auch in einer Studie des Möbelherstellers Steelcase, an der 32'000 Arbeitnehmende aus zehn Ländern teilnahmen, berichteten die Auskunftgebenden über negative Homeoffice-Effekte: 38 Prozent beschwerten sich über ein zunehmendes Isolationsgefühl, 23 Prozent über langsamere Entscheidungswege, 19 Prozent über eine nachlassende Produktivität und 18 Prozent über ihre sinkende Motivation. Ähnliches ist der Citrix-Studie zu entnehmen. Darin bestätigten 39 Prozent der Arbeitnehmenden, dass sich ihre psychische Gesundheit in den letzten zwölf Monaten verschlechtert habe.
Trotz der psychischen Mehrbelastung der Arbeitnehmenden hat die Qualität der erbrachten Arbeit jedoch nicht gelitten: Rund 80 Prozent der von der Firma von Rundstedt befragten Firmenchefs stellten keine Qualitätseinbussen fest. 22 Prozent bemerkten sogar eine Qualitätszunahme. Auch bei der Effizienz stellten die Betriebe keine Veränderungen fest: Für 75 Prozent der Führungskräfte war diese gleichgeblieben, 37 Prozent bemerkten gar eine deutliche Steigerung derselben.
Zu viel Homeoffice bringt also Probleme mit sich. Doch was ist zu viel? Als «gesunde Ratio» nennt die von-Rundstedt-Studie zwei Tage. Das deckt sich weitgehend mit den Wünschen der Arbeitnehmenden: So will gemäss Steelcase-Umfrage nur jeder vierte Arbeitnehmende aus dem deutschsprachigen Raum zwei oder mehr Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten. Dagegen wünschten sich 72 Prozent einen Homeoffice-Tag. Die wöchentlich ideale Homeoffice-Zeit von zwei Tagen wurde gemäss der von-Rundstedt-Studie während der Pandemie jedoch deutlich überschritten. So schickten fast 46 Prozent der Firmen ihre Mitarbeitenden zwischen 60 bis 100 Prozent ins Homeoffice. Die Folgen: Das dauernde Zu-Hause-Sein führte zu Koordinationsproblemen im Betrieb, zur Demotivation der Mitarbeitenden, zu einer abnehmenden Beziehungsqualität sowie zu einer in Schieflage geratenen Work-Life-Balance.
Bei einem «immer weiter so» dürften negative Homeoffice-Effekte in den Unternehmen somit zunehmen. Arbeit im Homeoffice gehört deshalb neu geregelt, fordert Soziologieprofessorin Katja Rost: «Firmen müssen insbesondere klären, welche Aufgaben sich fürs Homeoffice eignen und wie häufig dieses gewährt wird.» Daneben müssten sie austarieren, wie sich die persönliche Flexibilität eines Mitarbeitenden mit der Arbeitszeit vereinbaren liesse. «Anzusprechen ist auch der Umgang mit der Dauererreichbarkeit am Feierabend, an Wochenenden oder in den Ferien.» Geregeltes Homeoffice sei bis heute eher eine Ausnahme: «60 Prozent der Firmen in der Schweiz haben keine Vereinbarungen oder leben sie nicht.» Dass Firmen zu wenig auf die Work-Life-Balance und psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden eingehen, belegt auch die von-Rundstedt-Studie. So unterstützen viele Firmen ihre Mitarbeitenden zwar mit technologischen Hilfsmitteln wie Laptops oder Drucker, überlassen sie bei der Einrichtung ihres Homeoffices aber sich selbst. Nur 40 Prozent der auskunftgebenden Firmen bieten hierfür ein Training, während 19 Prozent ihre Mitarbeitenden im Homeoffice coachen. Wesentlich flexibler zeigen sich die Unternehmen bei der Einteilung der Arbeitszeit: Hierfür bieten immerhin 70 Prozent Hand.
Entgegenkommen zeigen
Homeoffice-Vereinbarungen zu treffen, bedeute nicht, auf Büropräsenz-Pflicht zu pochen, sagt Rost. «Das ist nicht zeitgemäss.» Vielmehr solle sich eine Firma fragen, wie sie ihren Mitarbeitenden entgegenkommen kann. Um die Zusammenarbeit zu fördern, könnten Firmen Kernarbeitszeiten und -tage definieren und den Mitarbeitenden dazwischen überlassen, wo und wann sie arbeiten wollen. Mit dem Wunsch nach mehr Selbstbestimmung ist Rost auch als Arbeitgeberin konfrontiert. Sie selbst gewährt ihrem Team 20 bis 40 Prozent Homeoffice-Zeit pro Woche und besteht auf 60 bis 80 Prozent Anwesenheit. Langjährigen Mitarbeitenden gewährt sie hin und wieder mehr Homeoffice-Tage.
Um keine Unzufriedenheit zu schüren, sollten Mitarbeitende bei der Homeoffice-Regelung einbezogen werden. Regeln von oben herab zu diktieren, sind weder für Rost noch für Mäder zielführend: «Firmen müssen Homeoffice-Vereinbarungen gemeinsam mit den Mitarbeitenden aushandeln. Nur das führt weiter», sagt Mäder. Hilfreich seien dabei partizipative Mitarbeitergremien oder Gesamtarbeitsverträge. In Erklärungsnot geraten gemäss Rost besonders Firmen mit Mitarbeitergruppen, bei denen das Homeoffice während der Pandemie funktioniert hat. «Dann muss die Geschäftsleitung besonders gut argumentieren, weshalb eine ständige Büropräsenz aus betrieblicher Sicht notwendig ist.» Eine Ansicht, die Mäder teilt. Die Vorteile einer ständigen Anwesenheit lassen sich für ihn jedoch gut vermitteln: «Im Büro weiten Mitarbeitende ihre Arbeit weniger ins Private aus und laufen weniger Gefahr, dass Kosten für Homeoffice-Anschaffungen auf sie abgewälzt werden.» Ob jemand gern im Büro arbeitet, hat für ihn vor allem mit der Unternehmenskultur zu tun: «Spürt ein Mitarbeitender, dass seine Ideen gefragt sind und er mitbestimmen kann, kehrt er auch lieber an seinen Arbeitsplatz zurück.»
Wie auch immer Homeoffice künftig geregelt wird: Dem HR kommt bei der Ausgestaltung eine bedeutende Rolle zu, findet Katja Rost. «HR sollte in Abhängigkeit der Tätigkeit und der hierarchischen Zugehörigkeit des Mitarbeitenden vorgeben, wie der Betrieb mit den hinzugewonnenen Freiräumen durch Homeoffice umgeht.» Zudem müsse das HR die Mitarbeitenden vor übertriebenen Erwartungen der Führungskräfte und Letztere vor jenen der Unterstellten schützen. «Damit nimmt HR eine Moderationsfunktion zwischen verschiedenen Mitarbeitergruppen im Unternehmen ein.»
Dieser Artikel erschien zuerst in der Fachzeitschrift HR Today.