Porträt

Globetrotterin von Beruf

Wenn sich in einem Unternehmen alles ums Reisen dreht, fliegen auch die Chefs oft aus. Für Sandra Studer, Geschäftsleitungsassistentin beim Reiseveranstalter Globetrotter, ist das die Zeit, in der sie sich vor allem um ihre zahlreichen Projekte kümmert. Denn ihre Stelle ist nicht gerade klassisch. 

Sandra Studer ist umgeben von kleinen, schönen Dingen. In ihrem Büro am Hauptsitz des Reiseveranstalters Globetrotter in der Berner Altstadt fallen nicht Aktenordner, Papierstapel oder Wirtschaftsbücher auf, sondern Autogrammkarten von einem Bollywood-Star, Reiseliteratur, ein Bildband über den Dalai Lama und ein moderner Atlas. Vor ihrem Pult steht eine Reisekiste im Stil einer Schatztruhe, darauf ein Bild von einem indonesischen Punk, am kleinen Besprechungstisch lehnen grosse eingerahmte Fotos, bereit für den Transport. Mittendrin die Assistentin, die lacht, die zeigt und erklärt.
 
«Eindrücklich, nicht wahr?», sagt sie, während sie uns auch die hinteren der gestapelten Bilder betrachten lässt. «Die Aufnahmen wurden in einem Dorf für Blinde im Iran gemacht. Die Fotografin hat den Ort bei einer Reise zufällig entdeckt und ist für die Reportage zurückgekehrt.» Seit sechs Jahren schreibt Globetrotter zusammen mit Nikon und dem Winterthurer Fotografen Manuel Bauer den Förderpreis World Photo für Nachwuchsfotografen aus. Die zwei Gewinner erhalten je 10 000 Franken, Coachings von Manuel Bauer, Unterstützung bei der Organisation ihrer Reise und ein Jahr Zeit.
 
Die Bewerbungen für den Wettbewerb, Fotos aus der ganzen Welt, die eine besondere Geschichte erzählen möchten, laufen über Sandra Studers Tisch. Sie trifft eine Vorauswahl für die Jury, ist mit den Künstlern in Kontakt und organisiert die Ausstellungen der Bilder – eine ihrer vielen verschiedenen Aufgaben bei Globetrotter, wo sie als Geschäftsleitungsassistentin arbeitet. Der Wettbewerb liegt ihr besonders am Herzen. «Weil es eine andere Art ist, junge Menschen zu fördern, und weil es mir einfach unglaublich viel Spass macht.» Die Geschichte über die Punkszene im muslimischen Indonesien habe ihr sehr gefallen. «Darum steht der Punk noch hier», sagt Studer und deutet auf das kleine Bild auf der Truhe. 
 
 

Kündigungsgrund Computer

Sandra Studer stiess 1994 zu Globetrotter. Zuerst war sie im hauseigenen Ticketoffice tätig, später in der Tarifabteilung, dann im Marketing. Zur Assistenz kam sie zufällig. «Der damalige CEO André Lüthi brauchte eine Assistentin. Weil wir bereits eng und gut zusammenarbeiteten, habe ich das übernommen», erzählt sie. Inzwischen hat sie zwei Chefs: Ein neuer kam dazu, der alte blieb, nun als VR-Präsident und CEO der Globetrotter Group. Studer ist für beide zuständig. Nebenbei ist sie PR-Verantwortliche und Medienstelle, hat die Zusammenarbeit mit den NGOs unter sich, organisiert Kundenevents und produziert Publikationen. «Man könnte die Stelle wohl so nicht ausschreiben», sagt sie und lacht. «Ich bin in sie hineingewachsen. So wie es vielen in unserer Firma geht.»
 
 

 

Studer trat zu einer interessanten Zeit ins Unternehmen ein. Globetrotter, 1976 vom Weltenbummler Walo Kamm in Zürich gegründet, sah sich als Anlaufstelle für abenteuerlustige Individualreisende, welche die Welt auf eigene Faust erkunden wollten. In den Anfängen wurden fast ausschliesslich Flugtickets verkauft. Alles andere organisierten richtige Abenteurer schliesslich selbst vor Ort. Doch das Unternehmen wuchs, die Anforderungen stiegen und auch die Reisewelt wurde technologisiert. «Als hier 1989 die ersten Computer eingeführt wurden, gab es Kündigungen», erinnert sich Studer. «Einige sahen darin den Geist von Globetrotter verraten. Der Wandel zu einem stärker kommerzialisierten Unternehmen war schwer.»

Diese starke Identifikation mit dem Arbeitgeber beobachtet sie heute noch bei den inzwischen rund 260 Mitarbeitenden. «Das macht uns aus. Hier wird mit sehr viel Leidenschaft und Commitment gearbeitet.» Dass dies keine leeren Management-Floskeln sind, zeigt die Struktur von Globetrotter: flache ­Hierarchien – und damit auch wenig Aufstiegsmöglichkeiten –, eine geringe Fluktuation und ein Kader, bei dem mit zwei Ausnahmen alle im Durchschnitt schon seit über zwanzig Jahren dabei sind. Herzstück sind aber die Reiseberaterinnen und Reiseberater, viele von ihnen Quereinsteiger, die ihre Passion für das Reisen zum Beruf gemacht haben. Sie kennen die Destination, die sie verkaufen, wie ihre Westentasche. Dafür sind sie im Jahr drei Monate vor Ort unterwegs, allerdings nur fünf Wochen bezahlt. Das bei, wie in der Reisebranche üblich, nicht gerade hohen Löhnen. «Unsere Reiseberater nehmen viel auf sich, um ihre Leidenschaft leben zu können. Zudem benötigen sie ein grosses Wissen, nicht nur, was die Destination betrifft, sondern auch technisch für die komplexen Systeme in der Branche. Viele Aussenstehende haben eine zu romantische Vorstellung vom Beruf.»

Zur Person

Sandra Studer ist Reiseprofi durch und durch. Das KV absolvierte sie bei Kuoni, nach der Lehre war sie für den Tour Operator zwei Jahre lang in London tätig. Zurück in der Schweiz arbeitete sie bei Kuoni weiter, bevor sie zum Airline-Ticketbroker Take off wechselte. 1994 trat sie bei Globetrotter Travel Service ein. Das Unternehmen baute ein eigenes Ticketoffice auf, Studer übernahm mit ihrem Know-how bald die Leitung. Später durchlief sie mehrere Abteilungen bei Globetrotter, bis sie 2007 zur Assistentin des damaligen Globetrotter-CEO André Lüthi wurde. Er ist heute CEO der Globetrotter Group und Verwaltungsratspräsident von Globetrotter Travel Service. Seine Stelle bei Letzterem übernahm Dany Gehrig. Studer arbeitet als GL-Assistentin für beide und ist für PR und Medienarbeit zuständig. 

Von Jubiläumsheft bis Helpline

Die Technologisierung hat die Reisebranche in den vergangenen Jahren stark durchgeschüttelt. Fast alles kann heute weltweit und sofort mit wenigen Klicks zu Hause gebucht werden. «Wir müssen oft lachen, wenn wir uns daran erinnern, wie wir noch vor gar nicht so langer Zeit Flugtickets von Hand geschrieben haben. Vor Weihnachten ganze Stapel, Familientickets, die wir dann zusammengetackert haben», erzählt Studer. Es hat sich unglaublich viel verändert. Doch der Wunsch, die Welt zu entdecken und sich dafür, gerade bei der Fülle an Informationen im Internet, gut beraten zu lassen, ist geblieben. Globetrotter hat sich von der Einmann-Firma 1976 zu einem führenden Anbieter für Individualreisen entwickelt.
 
Sind ihre beiden Vorgesetzten im Haus, erledigt Studer viele klassische Assistenzaufgaben: Sie organisiert die Agenda, bearbeitet die Korres­pondenz, empfängt Gäste und serviert auch Kaffee. «Unser Kader hat ein sehr gutes Netzwerk und ich lerne durch meine Arbeit interessante Politiker, Künstler und Querdenker kennen. Das ist inspirierend.» Fast selbstredend für ein Reiseunternehmen sind die Chefs auch oft weg, und das so, dass sie nur schwer zu erreichen sind. Auf einer Medienreise durch Nordkorea beispielsweise, oder beim Mountainbiking in Mustang. «Das klappt aber gut. Wir haben ein sehr gutes Vertrauensverhältnis.
 
Zudem arbeiten die beiden sehr selbständig. Und sie wissen: Wenn ich mich melde, ist es dringend», sagt Studer. Für sie bedeutet diese Zeit, dass sie sich ihren anderen Aufgaben widmen kann. Im Moment ist das das Fernwehfes­tival, das jeweils Ende Oktober stattfindet. «Vergangenes Jahr war aussergewöhnlich, weil wir das 40-Jahr-Jubiläum feierten», erzählt Studer. «Zwei Kundenevents mit je 1200 Gästen sowie ein Jubiläumsmagazin zusätzlich zum regulären Geschäft waren schon ein Stemmer. Aber es hat so ‹gfägt›», beschreibt sie in breitem Berndeutsch.
 
«Regulär» ist der  Arbeitsalltag von Sandra Studer sowieso selten. In einer Branche, in der Ereignisse auf der ganzen Welt oft sofortiges Handeln erfordern, gehören Routine und Gemächlichkeit nicht zum Grundprinzip. Besonders in Erinnerung geblieben ist Studer der verheerende Tsunami von 2004. «Unser CEO reiste zwei Tage nach der Katastrophe nach Thailand, um zu helfen und für Kunden die Rückreise zu organisieren.» In den Büros liefen die Teams auf Hochtouren, ein Krisenstab wurde ins Leben gerufen. Sandra Studer richtete sofort eine 24-Stunden-Helpline für besorgte Angehörige ein und koordinierte den Informationsfluss zwischen den Filialen, dem Eidgenössischen Departement des Äusseren und der Hotline.
 
 

Ausser Dienst

Das kostet mich Mut: Jemandem freundlich, aber ehrlich und direkt meine ­Meinung zu sagen und dabei die Antwort nicht zu scheuen.
Das würde ich gerne noch lernen: Ich wäre gerne Falknerin. Greifvögel üben eine unglaubliche Faszination auf mich aus und Falken finde ich besonders schön. Ich würde sehr gerne mit diesen Tieren arbeiten.
Diese Person würde ich gerne zu einem Nachtessen treffen: Vielleicht ­Machiavelli? Das wären spannende Diskussionen. Es würde mich sehr interessieren, was er zu Trump und Kim Jong-un sagen würde.
Das bringt mich zum Lachen: Vieles! Aber ich hatte schon immer einen guten ­Zugang zu britischem Humor.
Das macht mich nachdenklich: Ich habe das Gefühl, wir steuern auf ein amerikanisches System zu, bei dem immer sofort mit Anwalt oder Kassensturz gedroht wird. Die Eigenverantwortung und der gesunde Menschenverstand scheinen mir bedroht.

 
 
Dass Sandra Studer viele verschiedene Aufgaben im Unternehmen übernehmen kann, verdankt sie ihrem breiten Fachwissen. Seit der Lehre war sie immer in der Reisebranche tätig. «Es hilft mir in meinem Job sehr, dass ich die Branche so gut und von verschiedenen Seiten kenne.» Auch ihre Lust zu reisen ist nie versiegt. Zwei Monate stehen ihr als Assistentin bei Globetrotter zu. «Das ist allerdings unrealistisch, dafür ist das Arbeitspensum zu gross.» Hat sie Zeit, fliegt sie am liebsten nach Myanmar oder ins südliche Afrika, nach Botswana, Namibia und Südafrika. «Einfach in der afrikanischen Natur zu sein, nur diese fremden Geräusche um sich zu haben und in den Rhythmus des Landes einzutauchen – da ist der Alltag zu Hause innerhalb von fünf Minuten vergessen.» 
 
Kommentieren 0 Kommentare
Weitere Artikel von Stefanie Schnelli
Log in to post a comment.

KOMMENTARE

ADD COMMENT