Das perfekte Team
Was sie über Führung denken und wie sie voneinander lernen können, warum Mikromanagement keine Lösung ist und ihr Führungsgespann so hervorragend funktioniert, das erzählen Assistent Severin Oechslin und seine Vorgesetzte Pia Tischhauser von der Boston Consulting Group.
Severin Oechslin (li.) und Pia Tischhauser (Fotos: zVg)
Sie sind (noch) ein eher seltenes Gespann: die Frau die Vorgesetzte, der Mann ihr Assistent. Doch genau das schätzen Severin Oechslin, Manager Assistant Team bei der Boston Consulting Group (BCG), und Pia Tischhauser, Managing Director & Senior Partner, Chief Alumni Officer bei BCG, aneinander und leisten damit auch einen Beitrag zur Gender-Diversität. «Wie viele Male ist es mir passiert, dass ich an einem Flughafen gelandet bin und die Person, die mich abholt, den Namen Herr Oechslin auf dem Schild hatte», erzählt Tischhauser. Weil es noch immer logisch sei: Der Mann ist der Chef, Frau Tischhauser hat organisiert.
Auch Severin Oechslin kennt solche Geschichten. Täglich bekomme er unzählige E-Mails mit der Anschrift «Liebe Frau Oechslin», aber da stehe er drüber. «Ich bin ein Mann, der für eine Frau arbeitet, und schätze das. Und wenn ich als Mann einen Beitrag zum Stigma-Abbau leisten kann, sodass viele junge Männer finden: ‹Aha, Sekretär, das ist doch extrem spannend›, dann ist das wieder ein Schritt nach vorne.»
Wenn man die Geschichten der beiden hört, merkt man sofort, dass sie ein perfektes Team sind, das Führung auf Augenhöhe lebt. Von engmaschiger Kontrolle halten beide wenig. Vielmehr haben sie gelernt, aufeinander zu vertrauten und die Stärken des jeweils anderen zu schätzen.
«An Severin schätze ich beispielsweise, dass er mich täglich mehrfach davor bewahrt, irgendwo in ein Fettnäpfchen zu treten, und dass ich weiss, dass ich mich einfach zu 100 Prozent auf ihn verlassen kann», sagt Pia Tischhauser. Severin Oechslin indessen schätzt an seiner Chefin, dass sie als Führungsgespann transparent kommunizieren: «Wir sind ein Team und ich arbeite nicht für, sondern mit jemandem», sagt Oechslin. Das mache für ihn den grossen Unterschied, der ihn täglich für seine Arbeit motiviere.
Mikromanagement, nein danke!
Mitarbeitende selbständig agieren zu lassen, Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu haben und sie dadurch zu motivieren, sind für Pia Tischhauser wichtige Führungsqualitäten. «In all den Jahren stelle ich fest, dass Mitarbeitende dann die beste Arbeit leisten, wenn sie frei sind und die grossen Zusammenhänge verstehen.» Deshalb sei es auch essenziell, dass Angestellte mitdenken und auch mal Dinge kritisch hinterfragen, «da braucht es allerdings Augenhöhe».
Ein weiterer Punkt für Tischhauser ist Klarheit. «Es muss klar sein: Wer ist für was verantwortlich?» Und wenn man als Vorgesetzte oder Vorgesetzter etwas delegiert habe, dann müsse man auch loslassen können und das Vertrauen haben, dass es auch ohne eigenes Zutun klappt – «auch wenn der Weg zum Ziel vielleicht ein anderer ist. Es gibt nichts Schlimmeres als ein Mikromanagement.»
Severin ist nebst Pias Assistent als Leiter des Assistenz-Teams bei BCG auch Führungskraft und konnte für seine Tätigkeit von seiner Vorgesetzten schon einiges lernen: «einerseits, Verantwortung zu übernehmen, andererseits aber auch, diese abzugeben». Dazulernen könne er aber definitiv noch einiges, vor allem in Sachen Kommunikation. «Die Art und Präsenz von Pia, wie sie mit den Mitarbeitenden umgeht, mit ihnen kommuniziert, sie motiviert und begeistert sowie ihnen zuhört, das sind alles Dinge, die mich begeistern und die ich auch selbst gerne in mein Führungsverhalten übernehmen möchte», sagt Severin Oechslin.
Weil er seine Vorgesetzte auch als Führungsvorbild sieht, tauscht sich Severin mit ihr auch ab und an über Themen aus, die ihn in seinem Führungsalltag beschäftigen. «Ich schildere ihr dann Situationen und hole mir ihre Sicht der Dinge, Inputs und Ratschläge ab. Da kann ich enorm profitieren, auch wenn ich am Schluss selbst entscheiden muss, wie es weitergeht.» Aber es sei schön, bei wichtigen Gesprächen die Chance zu haben, sich auszutauschen, zu spiegeln und eine Aussenmeinung abzuholen von jemanden, der mehr Erfahrung habe als man selbst. Das wiederum sei nur möglich, weil sie so ein unglaubliches Vertrauensverhältnis hätten.
Voneinander lernen
Severin Oechslin profitiert vom Führungswissen seiner Chefin, sie aber auch von ihm? «Ja, ich kann durchaus auch Sachen von ihm lernen, beispielsweise mehr Fokus», sagt Pia Tischhauser lachend. «Ich bin jemand, der immer mit einer unglaublichen Passion und Energie Projekte angeht, und dann hilft es sehr, jemanden wie Sevi an der Seite zu haben, der mir hilft, meine Kalender auf Themen zu durchkämmen, auf die ich mich fokussieren muss.»
«Stimmt», Severin lacht ebenfalls und möchte unbedingt noch ergänzen, dass er von Pia noch etwas Weiteres sehr Wichtiges gelernt habe: «den Willen, etwas auszuprobieren und das Motto: ‹You miss a hundred percent of the shots you don’t take›». Wenn man es also nicht ausprobiere, dann schaffe man es auch nie, das sei die richtige Motivation und Mentalität, die es im Arbeitsalltag brauche. Dafür wiederum sei eine gelebte Fehlerkultur im Unternehmen essenziell, «und das haben wir bei BCG», bestätigen die beiden.
Bei BCG sind die Führungsstrukturen bereits sehr flach. Wie das Führungsgespann die Entwicklung von Führung im Allgemeinen sieht? «Grossartige Führung ist ein Netzwerk», sagt Pia Tischhauser. Ein Netzwerk von Leuten, die man kenne, denen man Fragen stellen und vertrauen könne. «Vertrauen ist in Zukunft das Wichtigste für die Führung», ist auch Severin Oechslin überzeugt. Und, bringt Tischhauser am Ende noch ins Gespräch, das Motto: «Bring your whole self to work». «Es muss möglich sein, dass man auch als Führungsperson sich selbst sein kann und dass eine Unternehmenskultur vorhanden ist, in der man aufgefangen wird.»
Pia Tischhauser weiss, wovon sie spricht. Kurz vor der Pandemie erhielt sie eine Brustkrebsdiagnose im Frühstadium und wollte nicht einfach so tun, als wäre alles okay. «Vielmehr wollte ich ehrlich sein und merkte, dass mir dieser offene Umgang unglaublich viel Energie gegeben hat.» Sie hofft deshalb, dass mehr Leaderinnen und Leader künftig auch so handeln. «Denn man kann nur dann ein Vorbild sein, wenn man sich öffnet.»
Diese Offenheit schweisste Severin Oechslin und Pia Tischhauser als Team noch mehr zusammen und stärkte ihr gegenseitiges Vertrauen – «weil ich merkte, dass auch ich immer ehrlich sein kann, wenn es mir mal nicht so gut geht», sagt Oechslin. Verständnis zu schaffen für den anderen, sei etwas ganz Wichtiges – «und für Leaderinnen und Leader noch viel wichtiger, weil sich Mitarbeitende an ihnen orientieren.»
Severin Oechslin
Severin Oechslin ist seit 2013 mit einem kleinen Unterbruch bei der Boston Consulting Group tätig, seit 2022 als Manager Assistant Team. Oechslin besitzt einen Bachelor of Applied Science in Banking and Finance der ZHAW School of Management and Law.