Als ich vor vielen Jahren in den Berufsalltag einstieg, wusste noch niemand, was die Bezeichnung Human Resources überhaupt bedeutet. Das mag damit zusammenhängen, dass es damals weder Früh- noch Spätenglisch gab und man ausserdem davon ausging, dass die wenigen Personalangelegenheiten von der Chefsekretärin erledigt werden konnten. Es gab ja nicht viel zu tun. Mal ein Inserat in die Zeitung setzen, ein paar Arbeitsverträge ausstellen, die Löhne pünktlich überweisen, das eine oder andere Arbeitszeugnis schreiben und Ende Jahr das Weihnachtsessen organisieren. Easy!
Doch das war gestern, in einem KMU. Heut-zutage sehen sich moderne Grossfirmen gezwungen, Hundertschaften von Personalspezialisten anzustellen, die sich um ständig anspruchsvoller werdende Aufgaben kümmern. Die HR-Departemente sind deshalb eigentlich ein Segen! Talente werden erkannt und offi-ziell gefördert. Wunderbar einfach gestaltete Zielerreichungs-Tools helfen dem Manager bei seinen Jahresendbeurteilungen. Aber nicht nur das, es gibt jetzt auch interne Fachstellen für Diversität & Integration so- wie firmeneigene Frauen-, Homosexuellen-, Lesben- und Transsexuellen-Foren. Freude herrscht in allen Grossraumbüros.
Was sich anhört wie ein gewerkschaftlich-humanitärer Traum, ist in Wahrheit sehr oft ein bürokratischer Super-GAU. Die einfachsten Vorgänge werden von den HR-Horden nicht selten bis zur Unkenntlichkeit verkompliziert. Simple Anfragen dauern Tage und durchlaufen etliche Support-Ebenen, bis einem jemand die Antwort gibt: «Ihren Feriensaldo können Sie im Intranet selbst nachlesen unter My-Feriensaldo.ko.» Ausgelagerte Mitarbeiter in Krakau oder Mumbai schreiben Arbeitszeugnisse, die vier bis fünf Mal zur Korrektur zurückgeschickt werden müssen, bis eine Unterschrift erfolgen kann, oder sie kümmern sich um Interviewtermine in Zürich, bei denen der Manager das reservierte Sitzungszimmer nur mit dem Tram inklusive zwei Mal umsteigen erreichen kann. Aber was soll’s: Effizienz wird sowieso komplett überschätzt!
Besonders wenn zum Jahresende hin der Beurteilungs-Rausch einsetzt. Mitarbeiter und Chefs beschäftigen sich im Dezember primär mit komplizierten Zielerreichungs-Tools. Derweil ruht die Arbeit, weil die apokalyptischen Reiter vom HR-Departement prophezeit haben, dass wer nicht rundherum Feedback abgibt, sich welches holt und alles stun-denlang in ein Online-Tool hineintöggelt, ins Bonus-Fegefeuer kommen und sicherlich nie an der rechten Seite des Verwaltungsrats-präsidenten sitzen wird. Und deswegen kann es am 24. Dezember vorkommen, dass das Telefon im Büro klingelt und Herr Meier sagt: «Nein, ich kann jetzt noch nicht nach Hause kommen, ich muss noch meine 360-Grad-Feedbacks fertig schreiben.» Und die Stimme am anderen Ende des Telefons antwortet: «Schatz, du kannst wählen: Entweder du kommst jetzt heim, weil deine ganze Familie am Tisch sitzt und sich bereits über das Weihnachtsessen hermacht, das ich alleine gekocht habe und an dem deine Mutter permanent herummäkelt, oder ich gehe jetzt gleich in die Garage, fahre deinen Porsche auf den Vorplatz, lege den Christbaum aufs Dach und zünde ihn an. Hast du gewusst, dass Autolack bei 360° schmilzt?»