Fragen Sie sich vor dem Posten:«Wäre meine Mutter stolz auf mich?»
Wer hat nicht schon von den Benimmregeln in sozialen Netzwerken gehört. Aber handelt es sich bei der Social-Media-Etikette wirklich nur um gute Manieren auf Facebook, LinkedIn und Co.? Youri Sawerschel, Personal-Branding-Experte und Gründer der Markenstrategie-Firma Creative Supply, findet: Wer sich seiner Online-Wirkung bewusst ist und diese auch zu steuern weiss, kann sich eine wertvolle Marke aufbauen – nicht nur als Unternehmen, sondern auch als Privatperson
Wenn wir in Social Media posten und kommentieren, tun wir das mit einem sehr subjektiven Gefühl dafür, wie es auf andere wirkt. Worauf sollten wir besonders achten?
Es gibt zwei Faustregeln, die ich hilfreich finde. Erstens sollte man sich fragen: Wenn meine Mutter diesen Post oder Kommentar liest – wäre sie dann stolz auf mich? Diese Frage hilft mir einzuschätzen, ob etwas angemessen ist oder nicht; es ist eine Art innerer, moralischer Kompass. Die zweite Regel lautet: Alles, was ich online poste, sollte ich auch in einem Raum voller Menschen sagen können. Wer sich seinen Personal Brand aufbauen möchte, sollte ausserdem seinem Netzwerk wertvollen und nützlichen Content bieten – das ist nicht dasselbe, wie einfach seine Meinung zu äussern. Viele verwechseln das. Letztlich finde ich aber, dass zu starre Regeln nicht weiterhelfen. Jeder Mensch ist anders; zu gewissen Leuten gehört es einfach dazu, unverblümt zu sagen, was sie denken. Viel wichtiger ist es, dass man sich fragt: Was ist mir wichtig, wofür stehe ich? Und dass man seine Botschaften danach ausrichtet.
Auf Business-Netzwerken wie z. B. LinkedIn kann man viel Eigenlob sehen – ein erfolgreich absolvierter Kurs hier, ein toller Workshop da. Wirkt so viel Positivismus auf Dauer nicht aufgesetzt und kann sogar kontraproduktiv werden? Was kann man tun, um als kompetent, aber doch authentisch wahrgenommen zu werden?
Ich kann mich begeistert über einen Workshop äussern und trotzdem authentisch sein; ich habe das eben so empfunden. Ich glaube, es geht hier um etwas anderes: Nämlich darum, zwischen Werbung und PR zu unterscheiden. Angenommen, Sie haben einen Workshop durchgeführt und posten, wie toll Sie als Workshopleiter waren – dann ist das Werbung. Wenn jedoch Ihr Kunde erzählt, was für einen grossartigen Job Sie gemacht haben, dann ist das PR. PR ist in jedem Fall besser. Die Botschaft ist zwar die gleiche, aber der Botschafter ist ein anderer. Das wirkt glaubwürdiger. Sie können aber auch einfach informieren: «Ich habe einen Workshop zum Thema XY durchgeführt und hier sind die drei Key Takeaways.» Für den Leser ist das interessant, weil das nämlich ein «valuable content» für ihn ist. Aber auch hier würde ich nicht zu streng sein. Posten Sie ruhig, wenn Sie auf etwas besonders stolz sind.
Glauben Sie, Schweizer Firmen machen einen guten Job in den sozialen Medien? Was könnten sie verbessern?
Ich kann nicht für den gesamten Schweizer Markt sprechen, aber ich glaube, dass vor allem B2B-Firmen, von ein paar Ausnahmen mal abgesehen, auf Social Media eher schwach unterwegs sind. Aber ich glaube auch, dass sich das mit Covid-19 ändern wird. Firmen, die sich bisher auf analoge Kommunikations- und Verkaufskanäle verlassen haben, wie zum Beispiel Messen, werden sich vermehrt mit digitaler Präsenz und Social Media auseinandersetzen müssen. Aber auch klassische Verkaufsgeschäfte werden eine Social-Media-Strategie brauchen: Ein Spielzeugladen in Basel zum Beispiel, der bislang auf Laufkundschaft gesetzt hat und jetzt online verkaufen muss, wird ab sofort mehr tun müssen, als alle paar Monate ein Bild auf Instagram zu posten.
Zur Person
Youri Sawerschel ist Markenstratege und Gründer von Creative Supply, einer Agentur für Markenstrategien mit Sitz in Zürich. Er ist Dozent an der ESSEC Business School in Paris und an der Geneva School of Business (HEG).