Porträt

Engagement für eine coolere Kirche

Tanja Gmünder ist von ganz oben angestellt. Im weitesten Sinne ist sie dem Papst unterstellt, ihren Lohn bezahlt die katholische Kirche des Kantons Zürich. Sie leitet das Sekretariat der Fachstelle «Jugendseelsorge Zürich» und bildet eine Lernende aus.

Das Büro von Tanja Gmünder ist weder in einer Kirche, noch trägt sie eine Nonnenkutte, noch hängt ein Kreuz an der Wand. Mitten in Zürich, in einem Altbau-Haus, begrüsst uns eine junge, sportliche Frau. Es ist das Gebäude der Jugendseelsorge der katholischen Kirche des Kantons Zürich. «Sag’s dem Papst» steht auf einem grossen Plakat mit einem modern-skizzenmässig angedeuteten Konterfei des katholischen Kirchenoberhauptes auf dem Korridor. Eine Initiative, bei der junge Menschen dem Papst ihre Meinung mitteilen sollen – über Gott und die Welt.

«Hier gibt es keine engstirnigen, nach ältester Schule streng katholischen Leute»

Bei Tanja Gmünder hängen Motivationssprüche aus dem Sport an der Wand, sie ist eine begeisterte Marathonläuferin. «Hier gibt es keine engstirnigen, nach ältester Schule streng katholischen Leute. Wir sind alle ganz normal», sagt sie und lacht. Sie muss es wissen. Als Leiterin des Sekretariats ist sie eine zentrale Anlaufstelle im Haus. Zudem ist sie für die berufskaufmännische Ausbildung einer Lernenden verantwortlich und Vorgesetzte einer Mitarbeiterin in der Administration. Gmünder musste kein Glaubensbekenntnis ablegen, als sie die Stelle im Dezember 2013 antrat. «Ich denke aber, dass mich, wenn ich keine positive Connection zu Gott und der Kirche haben würde, das Stelleninserat gar nicht angesprochen hätte.»

Reise auf die Philippinen

Tanja Gmünder ist 32 Jahre alt, in Adliswil im Kanton Zürich aufgewachsen und katholisch erzogen worden. «Wir hatten eine sehr innovative, fortschrittliche Gemeinde», erzählt sie. Geprägt hat sie vor allem die Zeit als freiwillige Firmbegleiterin. «Die Auseinandersetzung mit Jugendlichen, ihre Fragen und Sorgen haben mich berührt. Wir hatten in den Gruppen immer einen guten Zusammenhalt, sind einmal im Jahr nach Krakau in Polen gefahren und haben uns dort auch Auschwitz angesehen. Es ging um Fragen wie: Wo war Gott damals? Warum lässt er solch schreckliche Dinge zu?» Klare Antworten gibt es nicht. Aber Diskussionen, Gedankenaustausch und Trost. Auch die Firmbegleiterinnen und Firmbegleiter unter sich hatten einen guten Zusammenhalt und haben gemeinsam Reisen unternommen. Dreimal war Gmünder bereits auf den Philippinen und hat dort unter anderem auch eine Priesterschule besucht. Es waren viele beeindruckende Erlebnisse. «Wer weiss, ob ich ohne dieses Ehrenamt je auf die Philippinen gekommen wäre?», fragt sie. «So erlebe ich die Kirche. Als einen Ort, der mir neue Erfahrungen, Einsichten und spannende Gespräche ermöglicht hat. Nicht als etwas Verstaubtes, Langweiliges.»

Ausser Dienst

Dafür habe ich einmal viel Mut gebraucht: Mich für den Ironman in Zürich anzumelden. Obwohl ich bei der Organisation gearbeitet habe, hat mich die Anmeldung Überwindung gekostet. Vielleicht auch, weil ich wusste, was auf mich zukommt. 
Das würde ich gerne können: Schwedisch oder Holländisch. Eine nordische Sprache. Sie klingen so sympathisch.
Das bringt mich zum Lachen: Kleinigkeiten im Alltag zwischen Menschen.
Das bereitet mir Sorgen: Die Weltpolitik. Ich frage mich oft, wo das alles hinführt. Der zunehmende Egoismus macht mir Sorgen. Und die Schnelllebigkeit.
Das wünsche ich mir: Mehr Gelassenheit und das Vertrauen, dass die Dinge schon gut kommen. 
Diese Person würde ich gerne zum Znacht treffen: Mit Daniela Ryf, der Schweizerin, die den Ironman Hawaii gewonnen hat, würde ich schon sehr gerne einmal zusammensitzen.

 

Gmünder hat damit genau das Bild von der Kirche, das viele Verantwortliche zu vermitteln wünschen. Es gebe schon ein gewisses Imageproblem, beschreibt die Assistentin. Neben klassischen Sekretariats­aufgaben wie der Post, den Kassen- und Postcheck-Abrechnungen sowie der Organisation von Weiterbildungen ist sie auch verantwortliche Mitarbeiterin bei der Umsetzung der Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie schreibt und gestaltet den Newsletter sowie die Mailings und führt die redaktionelle Arbeit für Drucksachen aus. Auch kleinere Direct-Marketing-Projekte fallen immer wieder einmal an. «Ein sehr spannender Teil meiner Arbeit», sagt Gmünder. Interessant und herausfordernd auch, weil die Mittel im Vergleich zu den Möglichkeiten grosser Firmen in der Wirtschaftswelt eher bescheiden sind. 

Vor ihrem Job bei der Jugendseelsorge hat sie unter anderem als Assistentin für Andreas Schmid, der mehrere Verwaltungsratsmandate innehat, sowie für eine Firma, die mit Oldtimern handelt, gearbeitet. Sie war sich durchaus grosse Budgets gewohnt. Glücklicher hat es sie nicht gemacht: Bei Andreas Schmid war ihr ihre Position zu klischeehaft, bei der Oldtimer-Firma war ihr das Jobprofil zu oldschool. «Meine Stelle hier ist sehr vielseitig und abwechslungsreich. Zudem war mir wichtig, dass ich eine Lernende oder einen Lernenden ausbilden kann.» Auch die Sinnfrage stellt sich für sie in der aktuellen Stelle nicht. «Es ist mir ein Anliegen, die Vielfalt der katholischen Kirche aufzuzeigen. Es gibt eine grosse Bandbreite zwischen sehr traditionell und sehr modern.»

2017 war allerdings ein turbulentes Jahr für die Jugendseelsorge. Im April wurde offiziell bekannt gegeben, dass die Jugendberatung – neben der Jugendarbeit fast 40 Jahre lang ein wesentlicher Teil der Jugendseelsorge – im Kanton Zürich eingestellt wird. Die Nachfrage an psychologischen und sozialen Beratungen wurde immer kleiner. Zudem seien im Kanton Zürich verschiedene Angebote von kostengüns­tigen, öffentlichen Beratungsangeboten für Jugendliche und junge Erwachsene aufgebaut worden, heisst es von offizieller Seite.

Prinzip der Geh-hin-Kirche

Der Fokus der Jugendseelsorge liegt nun stärker im Bereich der kirchlichen Jugendarbeit. Dafür wurden Anfang Jahr die sogenannten regionalen Animationsstellen kirchliche Jugendarbeit (AKJ) gegründet, die in jedem der vier Dekanate im Kanton Zürich die kirchliche Jugendarbeit unterstützen. Die jeweiligen Stelleninhaber sollen die Jugendarbeitenden und Pfarreigremien bei regionalen Angeboten, Veranstaltungen und der Konzeptarbeit zur Seite stehen sowie die Vernetzung im Dekanat stärken. «Wir nennen dies das Prinzip der Geh-hin-Kirche in dem Sinne, dass wir vermehrt in die Gemeinden und zu den Menschen raus gehen, statt zu warten, bis die Verantwortlichen der kirchlichen Jugendarbeit zu uns kommen», sagt Gmünder.

Die vier AKJ-Leitenden haben ihre Büros dezentral in den Regionen an den Standorten Zürich (Stadt), Wetzikon, Affoltern am Albis und Bülach. Weitere Mitarbeitende in der «Zentrale» entwickeln zum Beispiel Aus- und Weiterbildungsangebote für Jugendarbeitende und Seel­sorgende. Für die Organisation der Bil­dungs­angebote ist Tanja Gmünder zuständig. Sie zeigt das Jahresprogramm 2018 mit Veranstaltungen wie «Motivierend beraten», «Gotteserfahrung outdoor», «Suizidprävention» sowie gemeinschaftlichen Events wie zum Beispiel «Nacht der Lichter», ein Abend mit Gesängen, Gebeten und Inspiration aus Taizé. Ein wichtiger Teil der kirchlichen Jugendarbeit in den Gemeinden soll auch der Arbeit mit freiwilligen Firmbegleitern zukommen. Nicht überall ist sie bereits so gut etabliert, wie es Tanja Gmünder in Adliswil erlebt hat.

Um mehr junge Menschen zu gewinnen, die Jugendliche auf diesem Weg begleiten, wurde der Film «The Level Beyond» verwirklicht. «Er ist sehr cool geworden», findet Gmünder im Wissen, dass das Medium Film viele junge Menschen anspricht. Ein anderes Projekt, das zeigt, wie praxisorientiert die Kirche wirkt, ist «Pfannenfertig». «Da gibt es zum Beispiel den ‹Zirkus zum Ausprobieren›, bei dem Gemeinden für einen Spielnachmittag das ganze Equipment bequem bei uns bestellen können.» Es brauche nicht bei allem immer einen religiösen Bezug, findet Tanja Gmünder. Es gehe auch um Menschlichkeit, Austausch, Spass.

Krankenschwester oder Polizistin

Mir ihr arbeiten Sozialarbeiter, Politologen, Theo­logen und soziokulturelle Animatoren sowie Religionspädagogen im Team. Sie selbst hat eine kaufmännische Lehre bei der Immobilienbewirtschaftung im Kanton Zürich gemacht. Obwohl sie einst ein ganz anderes Ziel vor Augen hatte: «Ich wollte immer Kinderkrankenschwester werden, darum habe ich die Diplommittelschule absolviert. Da mir aber bereits beim Sezieren eines Regenwurms schlecht wurde, habe ich einen medizinischen Beruf bald ausgeschlossen.» Der nächste Traumjob war Polizistin, weil Gmünder schon als Kind sehr sportlich war. Dafür musste man aber 20 Jahre alt sein und um die Zeit zu überbrücken, wurde ihr das KV empfohlen. Sie blieb «hängen», wie sie sagt, und ist heute sehr froh darum. Rückblickend sei eine Art Faden erkennbar, doch ihre Stellen seien sehr unterschiedlich gewesen. «Ich hatte immer Glück und es hat immer alles gut im Fluss geklappt. Ich frage mich oft, ob das alles Zufälle waren oder ob da doch was anderes ist?» 

Zur Person

Tanja Gmünder hiess noch vor wenigen Wochen Tanja Surber; sie hat gerade geheiratet. Zusammen mit ihrem Mann, den sie bei einem Gigathlon kennenlernte, wohnt sie in Wil im Kanton SG. Nach dem KV auf der Stadt Zürich trat sie beim Immobilienmakler Engels & Völkers in die Assistenz ein. Danach wechselte sie ins Team der Organisation Ironman Zürich, bis ihr der viele Sport im Beruf und als Hobby zu viel wurde und sie Assistentin von Andreas Schmid, unter anderem Verwaltungsratspräsident des Flughafens Zürich, wurde. In ihrer Freizeit macht Tanja Gmünder viel Ausdauersport und ist Leichtathletik-Trainerin sowie Prüfungsexpertin von KV-Absolventen. Zudem war sie lange im Pfarreirat tätig.

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