Neuer Weiterbildungsberuf

Eine Assistentin für die Seelsorge

Dank Jacqueline Fisch hat der Pfarrer mehr Zeit für die Seelsorge: Als Leiterin Administration und Betrieb entlastet sie in der Pfarrei Heilig Kreuz in Zürich-Altstetten die Seelsorgerinnen und Seelsorger. Dabei war die Kirche für die Kauffrau bisher unbekanntes Terrain.

«Ich war zunächst ziemlich überrascht, als mich eine Freundin auf das Stelleninserat aufmerksam machte», sagt Jacqueline Fisch und lacht. Ihre Freundin war Mitglied der Kirchenpflege der katholischen Kirchgemeinde – und diese war auf der Suche nach einer neuen Mitarbeiterin. «Sie meinte: Diese Stelle ist doch etwas für dich.» Die katholische Kirche war im Leben von Jacqueline Fisch bisher kaum präsent. «Ich hatte mit der Kirche vor allem bei Festen wie der Taufe oder Erstkommunion meines Sohnes und durch meine Mitgliedschaft beim katholischen Turnverein zu tun.» Die anfängliche Skepsis löst sich schnell auf. «Der Aufgabenbereich hörte sich sehr spannend und vielfältig an.» Zuerst steigt sie als Pfarreisekretärin ein, später übernimmt sie zusätzliche Aufgaben in der Administration. «Der Einstieg als Pfarreisekretärin war für mich sehr hilfreich», sagt sie, «ich bekam so Einblicke in den Alltag einer Pfarrei. Heute bin ich Vorgesetzte von drei Pfarreisekretärinnen und habe ein konkretes Bild von ihren Arbeitsfeldern und den Themen, die sie beschäftigen.»

Kirchliche Leitungsassistenz

Jacqueline Fisch profitiert bei ihrer Stelle in der katholischen Kirchgemeinde – mit über 10 000 Mitgliedern die grösste der Stadt Zürich – von den Erfahrungen ihrer bisherigen beruflichen Stationen. Nach der Schule absolvierte sie eine kaufmännische Ausbildung und war dann bei verschiedenen Firmen im Büro tätig, zuletzt bei der Swisscom. Dort konnte sie sich auch einiges an IT-Wissen aneignen. «An meiner jetzigen Stelle bei der Kirchgemeinde schätze ich, dass der Mensch mehr im Vordergrund steht – wir verkaufen kein Produkt», so Jacqueline Fisch, «ansonsten gibt es kaum Unterschiede zu meinen bisherigen Anstellungen. Ein Büro ist ein Büro – egal ob bei der Kirche oder in einem KMU.»
Das Berufsbild der kirchlichen Leitungsassistenz ist neu. Seit drei Jahren gibt es in der ganzen Deutschschweiz immer mehr Pfarreien, die kirchliche Leitungsassistentinnen anstellen – meist sind dies grosse, städtische Pfarreien. «Die Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen mehr Zeit für die Seelsorge haben und die administrativen Aufgaben an eine Fachperson abgeben können», so Jacqueline Fisch, «das spart nicht nur Zeit, sondern macht auch mehr Sinn: Eine Seelsorgerin oder eine Sozialarbeiterin hat in der Regel keine kaufmännische Grundausbildung.»

Breitgefächertes Pflichtenheft

Als erste Leitungsassistentin ihrer Pfarrei habe sie einiges von Grund auf erneuern müssen: «Zum Beispiel musste ich zuerst mal ein Ablagesystem für die Dokumente einführen.» Ihr Pflichtenheft ist breit gefächert: Sie nimmt an den Leitungssitzungen teil, schreibt Protokolle, ist Vorgesetzte für die Pfarreisekretärinnen und weitere Mitarbeitende wie Hauswart, Abendwart sowie Reinigungspersonal und Beizliverantwortliche der Pfarrei. Mit ihnen führt sie Mitarbeitergespräche oder kümmert sich bei einem Personalwechsel um die Suche nach neuen Mitarbeitenden. Aber auch für die Organisation der Weihnachtsfeiern und Teamausflüge, betriebliche Abläufe sowie kleinere Buchhaltungsaufgaben ist sie zuständig. «Ich schätze es, sehr selbständig arbeiten zu können. Oft ist auch meine Kreativität gefragt», sagt sie. 
Erst durch ihre Tätigkeit bei der Kirchgemeinde sei ihr bewusst geworden, wie vielfältig die Aufgaben einer Pfarrei sind: «Es war mir schon klar, dass Kirche mehr ist als nur Gottesdienste. Aber ich war dann doch überrascht, wie viele verschiedene Gruppen und Vereine es in einer Pfarrei gibt und wie gut frequentiert ein Pfarreizentrum ist.» Als Leiterin der Administration ist sie auch an den Leitungssitzungen der Pfarrei dabei. «Die Seelsorger haben mich von Anfang an in ihrer Mitte akzeptiert», sagt sie, «bei den Diskussionen bringe ich natürlich eine andere Perspektive ein und bin dabei ein Stück weit auch Einzelkämpferin.» Deshalb begrüsse sie die Pläne, dass sich die Leitungsassistentinnen der Stadtzürcher Pfarreien künftig vernetzen und zum Erfahrungsaustausch treffen wollen.

Identifikation

Einen persönlichen kirchlichen Bezug müsse eine kirchliche Leitungsassistentin nicht zwingend mitbringen: «Aber es macht schon Sinn, dass man sich ein Stück weit mit der Kirche identifizieren kann und eine Ahnung vom kirchlichen Leben hat, sonst stelle ich mir das sehr kompliziert vor», hält Jacqueline Fisch fest. Auch wenn sie sich das meiste selbst mittels Learning by Doing angeeignet habe, hat sie sich nun beim Lehrgang «Kirchliche Leitungsassistenz» zusätzliches Know-how geholt. Sie war Teilnehmerin des ersten Lehrgangs und hat im September ihr Zertifikat erhalten. «Nicht alles war neu für mich, aber den Austausch mit den Kolleginnen erlebte ich als sehr hilfreich. Im ers-ten Teil wurde sehr viel über die Kirche und ihre Botschaft vermittelt, doch bei meiner Arbeit habe ich kaum mit innerkirchlichen Fragen zu tun.» Viel relevanter für ihren Arbeitsbereich sei deshalb der zweite Teil gewesen: «Hier ging es um die konkreten Aufgaben, mit denen ich zu tun habe – zum Beispiel das Personalwesen.»

Neues Berufsbild für Quereinsteigerinnen

Kirchliche Leitungsassistenten unterstützen Leitungspersonen von Seelsorgeeinheiten oder Pastoralräumen (Zusammenschluss von mehreren Pfarreien) in administrativen Aufgaben. Das Theologisch-Pastorale Bildungsinstitut TBI (eine Institution der katholischen Kirche) in Zürich bietet seit 2019 für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger aus Wirtschaft und Verwaltung zwei Weiterbildungsmodule an. Inhaltlich wird u. a. Wissen über Aufbau und Aufgaben der Kirche, die kirchliche Diakonie und das duale Kirchensystem in der Schweiz vermittelt. Voraussetzungen für die Teilnahme sind eine abgeschlossene kaufmännische Lehre (Profil E oder M) oder eine adäquate Ausbildung sowie mehrjährige Berufserfahrung. Die gleichen Module werden zusätzlich auch von der katholischen Kantonalkirche im Kanton Thurgau angeboten. In vielen Pfarreien gibt es auch das Berufsbild der Pastoralassistentin. Das ist die Berufsbezeichnung für Theologinnen und Theologen, die als Seelsorger in einer Pfarrei tätig sind.
Weiter Infos unter: tbi-zh.ch/leitungsassistenz

«Die Nachfrage wird zunehmen.»

Herr Kyburz, wie gross ist das Interesse an den Modulen für Quereinsteiger?

Bei der ersten Durchführung haben 18 Teilnehmende abgeschlossen, jedoch mehrheitlich Pfarreisekretärinnen mit mehrjähriger Berufserfahrung im Pfarreisekretariat. Es waren nur vereinzelt Quereinsteigerinnen dabei, eine von ihnen hat bisher in der Hotellerie gearbeitet. Aber wir sind überzeugt, dass sich das noch ändern wird. Wie wir wahrnehmen, gibt es viele Interessierte, die bisher in der Privatwirtschaft oder im NPO-Bereich gearbeitet haben und offen sind für eine neue Herausforderung. Wie ich mitbekomme, sehen viele ihren Wechsel zur Kirche als Chance, sich beruflich weiterentwickeln zu können.

Wie gut sind die Stellenaussichten für kirchliche Leitungsassistentinnen?

Momentan ist das von Region zu Region noch unterschiedlich. Aber die gegenwärtige Kirchenentwicklung betrifft die ganze Deutschschweiz: Immer mehr Pfarreien werden zusammengefasst und es entstehen grösseren Seelsorgegebilde. Auf der anderen Seite geht der Nachwuchs an Seelsorgerinnen und Seelsorgern zurück. Durch die Komplexität der Situation nehmen Koordinations- und Managementaufgaben zu. Und für solche Aufgaben bringen Mitarbeitende, die in der Administration oder im Personalwesen gearbeitet haben, die besten Voraussetzungen mit, um in diesen Bereichen die pastoralen Mitarbeitenden zu entlasten. Die Nachfrage wird noch zunehmen.

Wie viel Kirchennähe müssen Quereinsteiger mitbringen?

Ein gewisses Interesse und eine positive Grundeinstellung sollten natürlich vorhanden sein. Aber aus meiner Sicht ist das Konfliktpotenzial klein, wenn für den Quereinsteiger zum Beispiel die Spiritualität nicht an erster Stelle steht. Spannungsvoller kann es da schon werden, wenn die Leitungsassistentin sehr stark im Glauben beheimatet ist und den Anspruch hat, auch inhaltlich die Seelsorge, Gottesdienste usw. mitgestalten zu können. 

Sie bieten die Module bisher nur für die katholische Kirche an. Ist die Situation bei der reformierten Kirche eine andere?

Die Reorganisation der Seelsorgestruktur sowie Zusammenlegung der Kirchgemeinden ist auch bei den Reformierten ein grosses Thema. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass auch auf reformierter Seite künftig Bedarf an qualifizierten Quereinsteigerinnen mit Qualifikation in der Verwaltung und Administration besteht. Gut möglich, dass wir irgendwann unsere Module auch ökumenisch anbieten.

Der Theologe Thomas Kyburz-Boutellier ist Fachverantwortlicher für Spiritualität und Bildung in der römisch-katholischen Kirche im Kanton Basel-Landschaft. Er leitet eines der beiden Weiterbildungsmodule für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger am TBI Zürich.

 

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Stephan Sigg ist Autor und Journalist. stephansigg.com

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