Das sitzt!
Unser Körper ist für Bewegung geschaffen, doch im Alltag machen wir vor allem eins: rumsitzen. Dabei ist längst bekannt, dass Sitzen krank macht. Gerade wer im Büro arbeitet, hat oft mit den Folgen zu kämpfen. Alternative Sitzmöglichkeiten sind hier eine echte Hilfe.
Die Zeit, die wir sitzend verbringen, nimmt immer mehr zu. Die meisten Menschen sitzen täglich mehr als acht Stunden auf ihrem Füdli, Büroangestellte kommen so am Ende ihres Arbeitslebens auf mehr als 80 000 herumgesessene Stunden. Und die Folgen spürt fast jeder von ihnen, Muskelschmerzen, Verspannungen oder gar Bandscheibenvorfälle gehören zum Alltag. Und das ist keine persönliche Sache mehr, Rückenkrankheiten haben um rund 3000 Prozent zugenommen und sind heute der häufigste Grund für Krankschreibungen oder gar Berufsunfähigkeit. Für Fachleute gehört eine ergonomische Büroein-richtung deshalb längst zum Standard. Auch Fabian Lupp, Geschäftsinhaber und Berater für Büroplanung und -einrichtung bei Büro Adam, hat das immer auf dem Schirm. «In meiner Arbeit sind die ergonomischen Gegebenheiten ebenso wichtig wie die funktionalen oder der Stil», sagt er. Denn wer gut sitzt oder steht, tut seinem Rücken etwas Gutes. «Rückenschäden sind vermeidbar, wenn man präventiv handelt», weiss der Experte. Der Fokus liegt dabei immer auf der Dynamik im Büroalltag: Maximal die Hälfte des Bürotages solle man im Sitzen verbringen, ein Viertel im Stehen und das restliche Viertel in Bewegung. «Dauersitzen ist das schlimmste», sagt Fabian Lupp. Die Lösung heisst: Steh-Sitz-Dynamik, also ein Wechsel zwischen Sitz- und Stehpult. Wer kein Stehpult habe, könne zwischendurch auch mal aufstehen oder wenigstens die Sitzhaltung verändern. «Hauptsache ist, dass man in Bewegung bleibt», sagt Fabian Lupp. Mit einem normalen Bürostuhl ist das aschwierig. Doch zum Glück gibt es Alternativen, die zu einer bewegteren und gesünderen Haltung animieren.
Ergonomische Bürostühle
Das Kennzeichen ergonomischer Bürostühle sind synchron miteinander bewegliche Sitzflächen und Rückenlehnen, im Fachjargon «Glide-Tech-Dynamik» genannt. Lehnt man sich zurück, senkt sich die Rückenlehne und gleichzeitig gleitet die Sitzfläche nach vorne. Und andersherum. So passt sich der Stuhl jeder Sitzbewegung an und bietet für die Wirbelsäule immer die beste Unterstützung. Je nach Vorliebe kommt ein solcher Stuhl auch noch mit Armlehnen und Kopfstütze daher. Aber Vorsicht: Der Begriff «ergonomischer Stuhl» ist nicht geschützt. Die oben beschriebenen Kennzeichen sollten vorhanden sein, sonst bietet der Stuhl keinen Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Bürostuhl. Fazit: der Ferrari unter den alternativen Sitzmöglichkeiten. «Auch wenn der Preis auf den ersten Blick hoch ist, er lohnt sich», sagt Fabian Lupp. Zusammen mit einem konsequenten Wechsel zwischen Stehen und Sitzen beugt man seiner Ansicht nach mit einem solchen Stuhl Rückenkrankheiten am besten vor und begegnet ihnen am konsequentesten.
Erst ausprobieren
Vor dem Kauf sollte man in Ruhe herausfinden, welche Sitzalternative den individuellen Wünschen am besten entspricht. Bei guten Fachhändlern kann man alle Möglichkeiten ausprobieren und sich beraten lassen. Viele bieten sogar einen Test über mehrere Stunden oder Tage im eigenen Büro an. Gerade bei teureren Geräten lohnt sich das, denn ein Chef gibt bestimmt nicht zweimal Geld aus, falls der Stuhl dann doch nicht passt.
Bewegliche Sitzhocker
Bewegliche Hockermodelle gibt es auf Rollen oder feststehend und manchmal sogar mit Lehne. Das bewegliche Untergestell dient als Verlängerung der Wirbelsäule, der Sitz ist meistens etwas nach oben gewölbt. Um die Balance zu halten, muss man ständig Mikrobewegungen durchführen, der Rücken bleibt aktiv und durch die Wölbung der Sitzfläche aufrecht. Fazit: preisgünstige Alternative oder Ergänzung zum herkömmlichen Bürostuhl. «Wer sich darauf wohlfühlt, der sollte einen Hocker mindestens als Ergänzung in Betracht ziehen», sagt Fabian Lupp.
Sattelstühle
Sattelstühle gibt es als Hocker, normale Stühle und Stehhilfen. Wer sich darauf setzt, nimmt sofort eine natürliche und gute Sitzhaltung ein. Dies liegt am grossen Winkel zwischen Oberschenkel und Oberkörper. Auf herkömmlichen Stühlen beträgt dieser Sitzwinkel 90 Grad, wohingegen Sattelstühle einen Sitzwinkel von bis zu 135 Grad erlauben. Dies führt im Bereich der Lendenwirbelsäule zu einer wesentlich geringeren Belastung der Bandscheiben. Sattelstühle sind jedoch gewöhnungsbedürftig und können Unbequemlichkeiten in Hüfte und Gesäss verursachen. Ein Sattelstuhl sollte daher sorgfältig ausgesucht und wegen der erhöhten Sitzposition mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch kombiniert werden. Fazit: gute Alternative, vor allem bei schlechter Haltung, und als zusätzliche Hilfe beim Stehen. «Wer sich am Stehtisch gerne mal kurz ausruht, für den ist das optimal», so Lupp. Als alternative Sitzmöglichkeit würden sich Sattelstühle aber nicht für jeden eignen. «Der Sattelstuhl ist eine sehr individuelle Geschichte, darauf fühlt sich nicht jeder wohl».
Sitzbälle
Sitzbälle kommen ursprünglich aus der ergotherapeutischen Arbeit und galten vor einigen Jahren als die Alternative zum Bürostuhl. Wer auf den meist quietschbunten, runden Plastikbällen ruhig sitzen will, braucht Muskelkraft und eine gute Feinmotorik. Beides perfekt, um im Sitzen in Bewegung zu bleiben und dem Rücken etwas Gutes zu tun. Fazit: Die Bälle werden heute meistens wieder da genutzt, wo sie einst herkamen: in Training und Therapie. «Auch wenn sie prinzipiell gut sind für den Rücken, sind sie im Büro doch oft ein Störfaktor», sagt Fabian Lupp. Als dauerhafte Alternative zum Bürostuhl jedenfalls konnten sie sich nicht durchsetzen.
Aufblasbare Ballkissen
Die meist runden, aufblasbaren Kissen sind keine Alternative, sondern eine Ergänzung zum Bürostuhl und können beispielsweise bei Problemen mit dem Steissbein schmerzlindernd wirken. Sie werden auf die Sitzfläche gelegt und bringen durch ihre Beweglichkeit ein wenig Dynamik in die Sitzhaltung sowie natürlich eine etwas komfortablere Sitzfläche. Fazit: besser als nichts. Die Kompromisslösung für den ganz kleinen Geldbeutel. «Man sitzt gut drauf und ist mehr in Bewegung als ohne», sagt Fabian Lupp. Aber vor allem bei Stühlen mit gerader Rückenlehne verpuffe der Effekt. Insofern sind die Ballkissen in Kombination mit einem herkömmlichen Bürostuhl keine gute Alternative.
Stehhilfe
Wer an einem Stehpult arbeitet, tut seinem Rücken etwas wirklich Gutes. Längeres Stehen kann aber auch anstrengend sein, vor allem wenn man es nicht gewohnt ist. Dann bieten sich Stehhilfen an, die ein wenig Halt geben und entlasten. Es gibt sie mit normaler Sitzfläche, mit abgerundeter oder in Sattelform. Fazit: Eine Stehhilfe ist eher ein Zusatz und nicht für jeden eine 100-prozentige Alternative für einen Sitz-Stuhl. Für Steh-Anfänger allerdings ist sie ziemlich hilfreich. «Wer das Stehen nicht gewohnt ist, wird sich über die Entlastung freuen», sagt Fabian Lupp.