Karriere

Cool bleiben!

Vorstellungsgespräche sollen eine erste Einschätzung bringen, ob Arbeitgebende und Bewerbende matchen. Manche Interviewfragen schiessen jedoch übers Ziel hinaus. Ein Gespräch mit Expertin Stefanie Körner, Gründerin des Personaldienstleisters Vinci Personal AG, über psychologische Stresstests im Bewerbungsgespräch.

Sogenannte «Stressfragen» beim Vorstellungsgespräch sind immer noch gang und gäbe. Was halten Sie davon?

Stefanie Körner: Gewisse Fragen gehören für mich zum Vorstellungsgespräch. Wir möchten ja etwas über unser Gegenüber herausfinden. Das erreichen wir mit Fragen. Optimal ist, wenn sich daraus ein gesunder Dialog entwickelt und Bewerbende von sich aus erzählen. Fragen wie die, was sie sich von der neuen Stelle, dem Arbeitgeber, der Vorgesetzten wünschen und welche Tätigkeiten sie gerne ausüben und was sie nicht gerne machen. Das ergibt ein Bild der Stärken und Schwächen eines Bewerbenden, ohne explizit danach zu fragen. Gleichzeitig interessiert mich auch, was den Bewerbenden bei der Arbeit aus der Ruhe bringt. So kann ich abschätzen, wie gut ein Kandidat mit den Umständen der ausgeschriebenen Position klarkommen wird.

Es gibt Fragen, die wenig Sinn zu machen scheinen, beispielsweise: «Wie viele Rolltreppen gibt es in New York?»

Das ist ein sogenannter Brainteaser. Diese Fragen machen meistens wenig Sinn. Der Zweck besteht darin, Bewerbende aus der Reserve zu locken, zu sehen, ob sie spontan reagieren, und sie zu einer Lösungsfindung anzuregen. Es geht also um Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität, ­Spontanität, Auffassungsgabe, Analysestärke, Coolness und das logische Denken.

Wie reagiert man als Bewerbender darauf?

Denken Sie laut über eine mögliche Lösung nach, zeigen Sie auf, wie Sie darauf kommen oder welche Annahmen Sie treffen. Selbstverständlich könnten Sie auch kontern und als Antwort geben, dass sie das von New York nicht wüssten, es jedoch in Basel ca. so und so viele Rolltreppen gäbe, weil es viele Warenhäuser hat, dazu den Bahnhof und den Flughafen. Kreativität führt ebenfalls zum Ziel.

Es gibt auch Fragen, die sich in einer Grauzone bewegen oder gar illegal sind, beispielsweise solche zum Familienstand, zum Kinderwunsch oder zur Gesundheit. Weshalb werden diese Fragen dennoch gestellt?

Je nach Unternehmen wissen die Interviewer gar nicht, dass diese Fragen unzulässig sind, oder die Personaler erhoffen sich je nach Reaktion, eine Antwort ableiten zu können.

Welche Antwort(en) empfehlen Sie Bewerbenden bei solchen Fragen?

Sie können beispielsweise mit Humor und Sarkasmus reagieren. Antworten wie «Oh, ich wusste gar nicht, dass eine Schwangerschaft eine Voraussetzung für diesen Job ist» teilen dem Interviewer mit, dass eine Frage zu diesem Thema nicht OK war, und zeigen gleichzeitig, dass Sie locker «zurückschiessen» können. Sie können solche Fragen aber auch ehrlich beantworten oder gegebenenfalls sogar eine Notlüge verwenden. Oder Sie konfrontieren den Interviewer, indem Sie sich für Ihre Rechte einsetzen und ihm mitteilen, dass seine Fragen unzulässig sind.

«Schweigen» kann für einen Bewerbenden auch Stress beim Vorstellungsgespräch bedeuten. Wie kann man Schweigen geschickt parieren?

Schweigen Sie einen Moment mit, halten Sie Augenkontakt und fragen Sie dann, ob nun der Zeitpunkt da ist, Ihre Fragen zu stellen.

Allgemein: Taugen psychologische Test mit eben solchen Stressfragen überhaupt dazu, die besten Mitarbeitenden zu finden? Wenn ja, wieso?

Ein Interview auf Augenhöhe sollte keinen Stress bei Bewerbenden hervorrufen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, sich zu präsentieren und so viel wie möglich über die Stelle und das Unternehmen herauszufinden. Daher wende ich von den fünf Fragetypen (siehe Kasten) nur Fang- und Trichterfragen an, um einen Dialog zu entwickeln. Mit den anderen Fragearten entsteht nur ein Ungleichverhältnis: Die Bewerbenden kommen sich klein vor.

Inwiefern beschädigen Stresstests das Arbeitgeberimage der Firmen?

Ungeeignete Interview- und Fragetechniken erwecken den Eindruck, dass mit Mitarbeitenden ebenfalls so umgegangen wird und keine Kommunikation auf Augenhöhe stattfindet. Sie entbehren jeglicher Wertschätzung für die Bewerbenden und verhindern einen gesunden Austausch.

Können sich Unternehmen solche Methoden in Zeiten des Fachkräftemangels noch leisten?

Im Gegenteil. Aktuell könnten Fachkräfte den Spiess eher umdrehen und Unternehmen solche Fragen stellen, um zu prüfen, ob die Arbeitgebenden ihre Vorstellungen erfüllen. Deshalb ist es wichtig, eine wertschätzende und für beide Seiten gewinnbringende Interviewkultur zu etablieren und zu pflegen.

Dieses Interview erschien zuerst auf hrtoday.ch

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Eliane Stöckli ist Online-Redaktorin bei HR Today. es@hrtoday.ch

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