Kolumne
Bollwerk der schrecklich guten Manieren
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An der Rezeption ist die gute alte Zeit noch in vollem Gange. Wer in diesem Bereich anheuern will und den Knigge intus hat, ist klar im Vorteil. Der Knigge ist übrigens keine hippe Yoga-Variante, sondern ein Leitfaden für das zivilisierte Zusammenleben. Es geht um Rücksicht, Respekt und Ritterlichkeit. Tugenden, die nie aus der Mode kommen und in den Lobbys renommierter Firmen den Alltag beherrschen. Der Empfang ist ein geschützter Bereich. Jeder Gast ist dort ein Herr, alle Besucherinnen Damen, und es ist der einzige Ort, wo der hart erworbene Doktortitel noch ehrerbietend ausgesprochen wird. Heile Welt also?
Mitnichten! Neben der demütig praktizierten Freundlichkeit hat die Rezeption vor allem eine Aufgabe zu erfüllen: Sie hat dafür zu sorgen, dass nur die richtigen Leute hinein kommen. Niemand, der nicht angemeldet ist oder wenigstens adäquat auftritt, kann diese Barriere der furchterregenden Höflichkeiten durchdringen. Empfangsmitarbeiter sind darauf gedrillt, selbst dann noch zu lächeln, wenn sie jemandem unmissverständlich zu verstehen geben, dass es ein Irrtum war, die Türschwelle zu übertreten. Unangemeldete Journalisten, verirrtes Putzpersonal, schwitzende Velokuriere, pöbelnde Demonstranten, unbedarfte Handwerker – sie alle werden liebenswürdig, aber mit Bestimmtheit hinausbugsiert, und zwar ohne Aufsehen zu erregen. Das ist eine Kunst! Ein guter Empfangschef würde selbst eine füdliblutte Pussy-Riot-Demonstrantin würdevoll abservieren, indem er ihr sein Jackett überwirft, ihr einen Taxigutschein in die Hand drückt und erklärt: «Ziehen Sie das an, meine Dame, sonst erkälten sie sich noch. Sie können sich darauf verlassen, dass ich Ihre Botschaft unserer Geschäftsleitung überbringen werde. Ich bestelle Ihnen jetzt ein Taxi. Danke, dass sie draussen darauf warten. Alles Gute und danke für Ihren Besuch.»
Ein so unerschütterliches Mass an Contenance ist bemerkenswert und gruselig zugleich, wenn man doch weiss, welchen Widrigkeiten Empfangsmitarbeiter tagtäglich ausgesetzt sind. Von einigen wird verlangt, dass sie ganztags stehen, weil das angeblich einen seriöseren Eindruck macht. Diese Auflagen sind bei Bankinstituten sehr beliebt, wo man komischerweise glaubt, dieser Eindruck halte an, wenn der Kunde die Rezeption bereits passiert hat. Andere Firmen legen Wert darauf, dass sich Empfangsdamen auf hohen Absätzen fortbewegen. Das sei professioneller. In der Playboy Mansion bestimmt, aber an der Rezeption einer Beratungsfirma? Der Torturen gibt es viele, doch die grösste Herausforderung dürfte der Umgang mit den Besuchern darstellen. Wissen wir doch, wie viel Arroganz, Selbstüberschätzung und Hochmut sich durch die Lobbys von Grossfirmen wälzt. Dabei handelt es sich oft um Leute, die hoch hinaus wollen. Nicht selten zeichnet sich allerdings bereits am Eingang ab, dass sie es nie zu etwas bringen werden. Wirtschaftsstudenten zum Beispiel, die zehn Minuten zu spät zum Vorstellungsgespräch erscheinen, weder Grüezi noch Entschuldigung sagen, sich aber beschweren, dass die Rezeptionistin sie nicht schnell genug angemeldet hat. Oder Consultants, die fünf Minuten vor dem Termin in die Lobby stürmen, verlangen, dass man ihnen eine unverschämte Anzahl von Kopien macht, und sich dann mokieren, wenn die Heftklammern nicht auf allen Dokumenten an der gleichen Stelle sitzen.
Dort, wo Menschen jeden Schlages kommen und gehen, sei es die stoische Gelassenheit, die verhindere, dass Empfangsmitarbeiter die Beherrschung verlören, erklärt mir Rezeptionist Hugo F. Dabei lächelt er sanft, aber leicht hämisch und fügt an: «Und das Wissen darum, dass ich trotz allem die Macht habe zu entscheiden, ob jemand hinein darf oder für immer draussen bleibt.»
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