Datenvisualisierung

Big Data und die Datenkünstler

Nach Cloud Computing, Big Data und E-Learning kündigt sich der nächste Trend an: Datenvisualisierung ist gerade in aller Munde. Data Artists verwandeln abstrakte Zahlen in visuell attraktive Grafiken. Was steckt hinter der Datenvisualisierung und warum wird diese auch für kleinere Unternehmen immer wichtiger?

Haben Sie nach dem Lesen des Leads gerade geseufzt? Verständlich. Schon wieder so ein Superduper-Mega-trend, bei dem die Experten erzählen, dass man daran nicht vorbeikommt? Noch so ein Hype, dem alle hinterherlaufen, weil sie Angst haben, den Anschluss zu verlieren. Braucht man das wirklich? 
Ob der Trend zur Datenvisualisierung auch für Ihren Betrieb wichtig ist oder ob Sie jetzt vielleicht gleich weiterblättern können, lässt sich relativ schnell herausfinden. Datenvisualisierung ist für Unternehmen sinnvoll, bei denen erstens sehr viele Daten anfallen, die Daten zweitens aus unterschiedlichen Quellen stammen und somit recht unübersichtlich sind und deshalb, drittens, ein ungenutztes Potenzial für Ihr Business darstellen.
Mario Zillmann, Experte des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Lünendonk, erklärt das so: «Grundsätzlich spielt die Unternehmensgrösse keine grosse Rolle bei der Frage, ob Datenvisualisierung benötigt wird. Vielmehr sind das Geschäftsmodell sowie die Digitalisierungsstrategie relevant.»

Vorteile der Visualisierung

Wer sich mit dem vermeintlichen Hype-Thema beschäftigt, merkt schnell, welche Vorteile die Visualisierung bringt. Zunächst macht sie abstrakte Zahlen durch die bildliche Darstellung anschaulich. Das gilt natürlich auch für die gute alte Balkengrafik in Excel oder Powerpoint. Aber Datenvisualisierung geht viel weiter, weil sie auch sehr komplexe Zusammenhänge verständlich macht. Das ist spätestens dann eine nützliche Sache, wenn fachfremden Kollegen aus anderen Abteilungen bestimmte Themen nahegebracht werden sollen. 
Dabei geht es auch um die Geschwindigkeit, mit der Inhalte erfasst werden. Egal, ob Zahlen aus dem Einkauf, dem Marketing, der Logistik, der Produktion oder den Finanzen – überall da, wo komplexe Informationen anfallen und miteinander verknüpft werden sollen, hilft die Visualisierung, die Lage zügig zu erfassen. «Für einen schnellen Überblick über Kennzahlen oder Statusreports sind Visualisierungstools enorm wichtig, um das Wesentliche an Informationen auf einen Blick herauszulesen», ergänzt Zillmann.

Alternative zu langen Texten

Mit diesen psychologischen Mechanismen kennt sich Fabienne Kilchör bestens aus. Sie ist Mitgründerin der renommierten Grafikagentur Emphase in Lausanne und in Bern und leitet zugleich den Weiterbildungslehrgang CAS Data Visualization an der Hochschule der Künste in Bern. «Im Geschäftsleben muss man oft in sehr kurzer Zeit viele Informationen verarbeiten, will dafür aber keine langen Texte lesen. Die Visualisierung ist hier eine gute Alternative.» Deshalb ist die Visualisierung nicht nur bei der internen Kommunikation im Unternehmen, sondern auch beim Dialog mit Kunden und Geschäftspartnern ein wertvolles Hilfsmittel.
Die mit dieser Aufgabe betrauten Data Artists und Grafiker haben häufig mit dem Vorurteil zu kämpfen, das Ziel sei ja nur, vorhandene Informationen optisch aufzuhübschen. Doch darum geht es erst ganz zuletzt. Eine hochwertige Infografik ist ein effizientes Kommunikationstool, das abstrakte Sachverhalte oder Texte und Tabellen in eine leicht verständliche, visuelle Sprache verwandelt. «Wenn die visuelle Metapher zum Inhalt passt, wird die Information nachhaltiger wahrgenommen und gespeichert. Bilder prägen sich einfach besser ein», sagt Kilchör. Im Idealfall ist die Visualisierung auch eine Art Storytelling. Aus Zahlen wird eine Geschichte, aus Daten eine Botschaft. Unwichtig ist die schöne Optik deswegen nicht. «Die Seriosität und Qualität der Informationen wird auch über die professionelle Gestaltung vermittelt», so Kilchör. 

Geistesblitze und neue Erkenntnisse 

Damit ist der spannendste Aspekt noch gar nicht genannt. Datenvisualisierung sorgt manchmal für echte Aha-Erlebnisse. Dann nämlich, wenn die Darstellung schlagartig Zusammenhänge oder Fakten sichtbar macht, die im Wust der Zahlen versteckt waren. Dinge also, die höchstens Genies und Mathematikprofis im Zahlensalat sehen würden, die Normalsterblichen aber unerschlossen bleiben. Für die Entscheidungsträger im Unternehmen liegt genau darin eine grosse Chance. Sie erkennen plötzlich verborgene Zusammenhänge in den Geschäftsprozessen oder verstehen, warum sich Kunden auf eine bestimmte Weise verhalten.
Selbst, wenn solche geniale Einsichten nicht jeden Tag vorkommen, schafft die Datenvisualisierung eine solide Informationsgrundlage für die Entscheidungen der Unternehmensleitung. Und sie hilft dabei, dass Vorgesetzte, die in der Regel nicht so tief in der Materie stecken wie ihre spezialisierten Mitarbeitenden, besser verstehen, was die Zahlen bedeuten, wie sie zusammenhängen und welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben. 
Infografiken bereiten also Entscheidungen vor. Das bestätigt auch Oliver Ittig, Studiengangsleiter im Departement Informatik der Fernfachhochschule Schweiz. «Die Frage, wie man mit Daten einen Mehrwert fürs Unternehmen schaffen kann, rückt immer mehr in den Fokus. Das Ziel ist, dass schlussendlich bessere Entscheidungen getroffen werden können.»

«Relevant sind das Geschäftsmodell sowie die Digitalisierungsstrategie.»

Das funktioniert aber nur, wenn vor der Visualisierung eine Analyse des Datenmaterials stattgefunden hat. Erst, wenn man die Rohdaten sorgfältig studiert, miteinander verglichen und kombiniert hat, bekommt man ein Gefühl dafür, welche Daten wichtig sind, nach welchen Kriterien sie sortiert und kombiniert werden könnten und auf welche Weise sie dann visualisiert werden. Gute Ideen, Scharfsinn und Kreativität sind also bereits bei der Analyse der Daten hilfreich. 

Was der Data Artist können muss

Für eine seriöse Präsentation der Daten ist eine ganze Menge Know-how aus unterschiedlichen Bereichen nötig. Der perfekte Data Artist verfügt über IT-Know-how, weiss, wie ein Netzwerk funktioniert, beherrscht Datenformate und IT-Schnittstellen, hat sich vielleicht schon mal mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz beschäftigt und verbindet Mathematikwissen mit einer Portion künstlerischen Talents. Ach ja, er versteht, wie Kommunikation funktioniert und ist ein versierter Storyteller. Solche Könner sind auf dem Arbeitsmarkt rar und für kleine Unternehmen oftmals zu teuer.
Oliver Ittig empfiehlt daher, interdisziplinäre Teams zu bilden. «So können die Geschäftsdaten mit breiter Abstützung und Expertise aus den verschiedenen Teams besprochen, interpretiert und gewichtet werden. Der Kollege aus der Grafik kann dann helfen, das passende Layout und die Farben für die Präsentation zu finden.»
Eine weitere Möglichkeit wäre, externe Berater oder Dienstleister zu verpflichten, die anlassbezogen zu bestimmten Themen wie dem Quartalsbericht eine Analyse sowie eine Visualisierung der Daten anbieten. Und vielleicht hat eine Kollegin oder ein Kollege Lust auf eine passende Weiterbildung. Es gibt eine ganze Reihe von Fachhochschulen und Fortbildungseinrichtungen, in denen man die Kunst der Visualisierung erlernen kann, etwa an der oben erwähnten Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) oder der Hochschule der Künste in Bern. 

Gespür für Farben und Proportionen

Ganz ohne Talent wird es schwer mit der Karriere als Data Artist. Ein wenig Gespür für Farben und Proportionen, ein Gefühl, wie komplexe Daten und abstrakte Zahlen am besten kommuniziert werden, gehört schon dazu. Aber vieles lässt sich auch erlernen und mit der Zeit perfektionieren. Ausserdem gibt es Software-Tools, die die Analyse und die optische Darstellung von Daten vereinfachen. Bei vielen Unternehmen beliebt ist beispielsweise Tableau, eine Business-Intelligence-Plattform, die nicht nur viele Daten und Formate beherrscht, sondern auch einen Story-Modus bietet. Verhältnismäs-sig einfach zu bedienen ist Qlik Sense. Das Analyse-Tool ist auch als Onlinedienst verfügbar.
Ein Tipp zum Schluss: Es muss nicht immer die grosse allumfassende Datenpräsentation sein. Man kann klein anfangen, zum Beispiel im Inhouse-Newsletter mit der Präsentation der «Business-Kennzahl des Monats«, die als Piktogramm oder als stylishe Grafik dargestellt wird. Unternehmen, die täglich mit komplexen Infos zu tun haben, liegen sicher nicht falsch, wenn sie die Daten nicht brachliegen lassen, sondern nutzbar machen. Und wenn das kreative Zusammenspiel aus Analyse, Einsichten und Visualisierung gelingt, dann macht der Umgang mit den trockenen Zahlen auf einmal richtig Spass.

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Mehmet Toprak ist freischaffender Journalist.

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