Essay zur Zukunft des Assistenzberufs

Berufsbild Assistenz – quo vadis?

Die Ausbildung zur Direktionsassistentin bietet ein breites Fundament, um Führungskräfte zu unterstützen und selbst Führungsaufgaben zu übernehmen. In der Praxis sind zwei Tendenzen erkennbar: Einerseits wird die generalistisch ausgebildete Assistenz noch immer benötigt, andererseits gibt es viele Beschäftigungsprofile, bei denen es nur um Sachbearbeitung geht. Letztere stehen im Risiko, durch Rationalisierung oder Digitalisierung überflüssig zu werden. In beiden Fällen ist Weiterbildung der Schlüssel, um am Markt zu bestehen.

«So viel Wissen in dieser Fächerbreite und so detailliert, das brauche ich in meiner täglichen Arbeit gar nicht», erklärte eine Teilnehmerin in einem Lehrgang zur Direktionsassistentin mit eidg. Fachausweis, die bereits als Assistentin für einen Topmanager in einem Grossunternehmen tätig war. Sie erklärte frus­triert, dass die Inhalte der Aus­bildung in ihrem Arbeitsalltag gar nicht ­vorkämen und sie diese nie bräuchte. Sie ­konzentriere sich auf die Kernaufgaben der Assistenz, und zwar Reiseorganisation, die Kalender- und Terminpflege und die Sitzungsorganisation. Für alles andere hätte sie Zuarbeit aus anderen Abteilungen.

Eine andere Teilnehmerin widersprach vehement. Sie sei in einem KMU beschäftigt, in dem sie als rechte Hand des Chefs viele Bereiche kennen müsse. Daher sei es extrem wichtig, dass sie nun auch ihr praktisches Berufswissen um theoretische Kenntnisse ergänzen könne und so die Zusammenhänge in ihrem umfangreichen Aufgabengebiet besser verstehe. Dadurch sei sie in der Lage, bessere Arbeit zu leisten.

Es war eine dieser Diskussionen, während ich die Klasse in Organisation und Projektmanagement unterrichtete, die mich aufhorchen liess. Diese gegensätzlichen Wahrnehmungen kommen aus der täglichen Praxis. Sie zeigen, dass das Berufsbild der Assistenz in den letzten Jahren eine vertikale und eine horizontale Spezialisierung erfahren hat. Es gibt Studien, die voraussagen, dass es den Beruf der Assistentin in wenigen Jahren in der herkömmlichen Form nicht mehr geben wird. Bereits jetzt ist schon erkennbar, dass bestimmte Arbeiten aus dem Aufgabengebiet wegfallen oder verlagert werden. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich die Frage, wohin sich das Berufsbild Assistenz in den nächsten Jahren entwickelt. Welche Chancen bieten sich Assistentinnen und Assistenten, wenn sich ihr Aufgabengebiet verändert? Wie sollten sie den Herausforderungen begegnen?

«So viel Wissen in dieser Breite brauche ich in meiner täglichen Arbeit gar nicht.»

Generalistische Allrounder

Die Ausgangsbasis für die Assistenz bilden noch immer die Kernaufgaben: Kalenderführung, E-Mail-Nachverfolgung, Reiseorganisation, Veranstaltungsorganisation. Das spiegelt sich auch in den verschiedensten Stellenausschreibungen wider. Von diesen Kernaufgaben leiten sich weitere Tätigkeiten ab, wie allgemeine Korrespondenz, Protokollführung, Reporting, Geschäftsberichte, Vorträge, Präsentationen, Spesenabrechnung, Stabsstellen-, Schnittstellenfunktion, persönliche Angelegenheiten und vieles mehr. Um diese unterschiedlichen Aufgaben zu meistern, benötigt die Assistenz Fähigkeiten und Fertigkeiten aus unterschiedlichen Wissensgebieten, unter anderem Betriebswirtschaft, Recht, Finanzen, Rhetorik und Präsentation, Facility Management, Projekt- und Eventmanagement, Verkauf und Marketing, Kommunikation und Kundenorientierung, Zeit- und Stressmanagement und – last but not least – Know-how im IT-Bereich.

Die klassische Direktionsassistenz hat genau diese fundierte und breit angelegte Ausbildung zum Ziel. Die Generalistin erledigt ein grosses Arbeitspensum. Von Fall zu Fall holt sie sich Expertenwissen ein, denn sie kennt ihre Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortungen und Grenzen.

In Stellenausschreibungen wird bei den Anforderungen sehr oft ein Bachelor-Studium gefordert. Daher stellt sich die Frage, ob sich eine so breit gefächerte Ausbildung zur Direktionsassistenz überhaupt noch lohnt. Ich meine: ja. Denn ein Studium liefert zwar spezifisches Wissen, aber die Assistenz mit KV-Ausbildung und Weiterbildung zur Direktionsassistenz hat in Sachen Praxiserfahrung und Anwenderwissen die Nase vorne. Sie bringt in aller Regel eine Hands-on-Mentalität mit, die sie als rechte Hand des Chefs qualifiziert.

Gefahr der vertikalen Spezialisierung

Am Markt ist aber auch eine gegenläufige Entwicklung zu bemerken. Das Aufgabengebiet der Assistenz schrumpft. Die Aufgaben werden zerteilt und gestückelt, für jeden Part sind Spezialisten oder andere Abteilungen zuständig. Der Assistenz bleibt lediglich eine koordinierende Funktion vorbehalten. Darüber hinaus muss sie nicht mehr nur einen oder zwei Manager unterstützen, sondern ein ganzes Team. Dann gibt es Unternehmen, die Assistenzaufgaben ins Ausland ­verlagern, und durch Digitalisierung werden bestimmte Aufgaben automatisiert.

Ein Beispiel veranschaulicht diese Entwicklung:

Merle hat bei ihrem früheren Arbeitgeber den Ablauf für die Einstellung eines neuen Mitarbeitenden selbst gesteuert, die Ankündigung selbst verfasst, einen Artikel mit einem Interview im nächsten Newsletter veröffentlicht, Jahresevents organisiert und sich um die Finanzbuchhaltung oder Marketingaufgaben gekümmert. Sie hat kleinere und mittelgrosse Projekte selbst geleitet.

Mittlerweile arbeitet sie in einem Grossunternehmen. Dort führt der Personalverantwortliche die Aufgaben zur Einstellung durch. Merle füllt lediglich eine Vorlage für eine Ankündigung im Unternehmen aus, die von einem Kommunikationsverantwortlichen gestaltet wird, und versendet diese. Merle war bei ihrem früheren Arbeitgeber in den Meetings dabei und verfasste Protokolle. Sie entwarf nach Anweisung Präsentationen. Inzwischen schreiben die Manager ihre Beschlussprotokolle in OneNote oder MS Teams. Entwürfe von Präsentationen werden zu einer Firma ins billigere Ausland geschickt, wo sie binnen 24 Stunden aufbereitet werden. Die letzte Projektarbeit wurde ihr ebenfalls weggenommen und einem Project Manager Officer zugeschoben. Das einst breite Aufgabenspektrum ist zusammengeschrumpft. Inzwischen supportet Merle ein ganzes Team mit der Reiseorganisation.

Das Jobprofil, das früher viele Aufgaben umfasst hat, wird ausgehöhlt. Die immer gleichen Sachbearbeitertätigkeiten häufen sich. Diese Entwicklung führt, es kann nicht anders sein, bei einer breit und gut ausgebildeten Fachkraft zu Langeweile und Frustration. Ein Einzelfall ist diese Entwicklung nicht. Die Assistentin wird aufgrund der Reduktion auf reine Sachbearbeitung auch nicht mehr in die Inhalte einbezogen.

Aber eine viel grössere Gefahr besteht darin, dass auch diese rein auf Sachbearbeitung bezogenen Jobs nach und nach wegfallen. Es gibt Headquarter, die lediglich für das Topmanagement persönliche ­Assistentinnen anstellen. Alle übrigen Manager müssen sich Assistentinnen teilen oder erhalten Unterstützung durch virtuelle Assistentinnen oder Assistenzpools, die womöglich an ausländischen Standorten angesiedelt sind.

Aussichten

Die gut ausgebildete Direktionsassistenz wird immer noch benötigt. Dennoch heisst es: Augen auf bei der Jobsuche! Wenn in einem Job erkennbar ist, dass sich das Arbeitsgebiet auf wenige Aufgaben beschränkt, beispielsweise für mehrere Manager nur noch Reisen buchen und den Kalender führen, sollten gut ausgebildete Assistentinnen überlegen, wie lange ihnen das Freude bereitet. Sie sollten auch prüfen, ob diese Aufgaben nicht durch Digitalisierung automatisiert werden. In jedem Fall ist es empfehlenswert, sich weiterzubilden. Dies gilt nicht nur für jüngere Assistentinnen, sondern insbe­sondere auch für alle, die bereits 20 Jahre Berufserfahrung haben. Machen Sie sich fit in den angesagten Top-Skills, nicht nur in den Soft-Skills. Erweitern Sie Ihr Wissen in Bereichen, die Ihnen liegen, die aber auch Zukunft haben, unter anderem:

• Fachwissen im Bereich Computer und Elektronik (insbesondere Programmierkenntnisse)

• MINT-Kompetenzen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik)

• Betriebswirtschaft

• Life Sciences – Gesundheit

• Umweltmanagement

• Projektmanagement

Schärfen Sie Ihre Soft-Skills wie Kommunikationsstärke, agile Arbeitsmethoden, kritisches Denken, Flexibilität, Sozialkompetenz und Unternehmergeist für Ihre persönliche Entwicklung. Grundsätzlich gilt: Assistentinnen sollten nicht stehenbleiben. Nur wer sich weiterbildet, wird auf den Wellen der Digitalisierung und Globalisierung reiten können, ohne unterzugehen.

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Elisabeth Brommer-Kern gehört die SJPD Development GmbH (SJPD: Sustainable – Joyful  –­ Professional Development). Brommer-Kern ist Coach und Trainerin für Kommunikation, Business-Meetings und Arbeitsorganisation.

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