Andere Länder, anderes Deutsch
Das Schweizerhochdeutsch hat eine Reihe von sprachlichen Besonderheiten und das ist auch gut so. Denn die Helvetismen gehören zum guten und richtigen Hochdeutsch in der Schweiz dazu. In Acht nehmen sollte man sich nur bei der Kommunikation jenseits der Grenzen.
Im Schweizerhochdeutschen wimmelt es von sogenannten «Helvetismen» (Helvetia ist die vom Volksstamm der Helvetier abgeleitete neulateinische Bezeichnung für die Schweiz und eine allegorische Frauenfigur, welche die Schweiz versinnbildlicht). Zwar ist die Rechtschreibung des Deutschen weitgehend geregelt. In der Schweiz jedoch existieren Besonderheiten, Usanzen (Gepflogenheiten), die im Alltag, aber auch im Rechtssystem gangogäb (aus dem Berndeutschen: gängig, gebräuchlich) sind – und nur hier. Das betrifft Wörter und Begriffe ebenso wie die Grammatik. Von Beginn an (und nicht weg) sollten Sie bei einem Brief oder in Ihrer Korrespondenz darauf achten, wer die Empfängerschaft ist.
Moderatorinnen am Schweizer Fernsehen können davon ein Lied singen: Egal, ob sie Pneu oder Reifen sagen, es wird später kritisiert. Noch schlimmer aber kommt es, wenn ein Deutscher «schaffen» (statt arbeiten) hört – da leuchten bei ihm rote Lämpli …
Andere Wörter
Vermicelles (Süssspeise aus pürierten Esskastanien), Käsplättli (Auswahl an Käse), Schlagrahm (geschlagene Sahne in Deutschland, Schlagobers in Österreich, Crème Chantilly in der Küchensprache) und Scheiterbeige (geschichtetes Brennholz) sind Begriffe, die unsere Freunde in Berlin nicht verstehen, obwohl sie – aus schweizerischer Sicht – Hochdeutsch geschrieben sind. Das gilt auch für Primarschule (Grundschule), Fahrausweis (Führerschein), zügeln (umziehen) und Lavabo (Waschbecken), Trottoir, Akonto oder Velo.
Vorsicht gilt auch bei scheinbar harmlosen Wörtern: Tönen wäre klingen, posten einkaufen, vergönnt missgönnt. In der Schweiz unterscheidet man auch «den Drittel» von «das Drittel» (eines Eishockeymatches, der dafür selber männlich ist) und «den Viertel» von «das Viertel» (das man ohnehin lieber Quartier nennt).
Andere Grammatik
Die Verben sitzen, liegen, stehen bilden das Perfekt mit sein, also ich bin gestanden und nicht ich habe gestanden. Einige Verben verlangen andere Objekte – präsidieren und anfragen haben Akkusativobjekt (wen?), abpassen, rufen, anläuten auch Dativ (wem?). Zahlreiche Substantive haben in der Schweiz ein anderes Geschlecht als im Hochdeutschen: der Butter, der Couch, der Salami, der Gratin, der Dessert, das Rösti oder die Foto, die Raclette, das Coca Cola, das E-Mail, das Tram, das SMS.
Die hochdeutsche Verkleinerungsform -lein wird in der Schweiz zu -li: Müesli, Tüpfli, Stübli. Bei Präpositionen gibt es in helvetischen Gefilden einen ausgeprägten Hang zum Dativ. Das gilt besonders für trotz dem Regen, während dem Meeting, wegen dem Essen (Hochdeutsch: während des Essens), dank dem Applaus.
Andere Schreibweise
Solange man sich in der Schweiz befindet, sind diese Besonderheiten nicht nur akzeptabel, sondern können auch gegenüber der Leserschaft als Ehrerbietung für «das Schweizerische» empfunden werden. Es ist ganz okay, allfällig statt etwaig, Billett statt Fahrkarte und Parterre statt Erdgeschoss zu verwenden. Schweizerhochdeutsch ist ein Kulturgut. So schreibt ein Österreicher «Fleischhauer», wo der Hamburger «Schlachter» und der Schweizer «Metzger» wählt. Man darf ruhig merken, woher die Autorin stammt. Wir können auch nichts dafür, dass KV in Deutschland für «kriegsverwendungsfähig» und bei Musikern für «Köchel-Verzeichnis» steht. Je nach Sachlage (und nicht Situation) ist aber im Umgang mit Hochdeutsch sprechenden Menschen Rücksicht geboten. Bringen Sie Ihren Wagen in die Werkstatt, nicht zur Garage, verlangen Sie ein Angebot (und keine Offerte), foutieren Sie sich nie um Knöllchen (ignorieren Sie keine Bussenzettel), rufen Sie mit dem Handy an, nicht mit dem Natel und dann wird gut gelaunt (nicht aufgestellt) geparkt (und nicht parkiert). Kurzum: Seien Sie schweizerisch flexibel.