Abseits des Trubels
Noch lebt der Genitiv: mithilfe des Grammatikführers, ungeachtet der weitverbreiteten Ignoranz. Doch nicht nur in der Schweiz zeichnet sich sein Ende ab. Wegen des Dativs.
Einer sterbenden Rasse gleich soll hier dem Genitiv eine Lanze gebrochen werden. In der deutschen Sprache werden Substantive zur Verdeutlichung ihrer Rolle im Satz dekliniert. Es wird dabei unterschieden zwischen dem Nominativ (wer oder was?), dem Akkusativ (wen oder was?), dem Dativ (wem?) und eben dem unverstandenen Genitiv (wessen?).
Zwar gibt es noch klare Fälle, etwa diesen Satz: Maria gibt ihm Anitas Buch «Fifty Shades of Grey» zu lesen. Der Nominativ benennt das Subjekt des Satzes, in diesem Fall «Maria». Der Dativ bezeichnet das indirekte Objekt «ihm» und der Akkusativ das direkte Objekt «Anitas Buch». Dabei ist «Anitas Buch» zugleich ein klassisches Genitivkonstrukt zur Bezeichnung der Herkunft oder des Besitzers. So deutlich wie hier gibt sich der Genitiv jedoch nicht immer zu erkennen, denn hinsichtlich unterschiedlicher grammatischer Aufgaben kann er noch in einigen anderen Konstrukten auftauchen wie: eiligen Schrittes verschwinden, die Vereidigung des Gemeinderats.
Im gesprochenen Schweizerdeutsch war der Genitiv seit je inexistent. Besitzverhältnisse oder Beziehungen zeigt man normalerweise so an: «Das isch dr Judith ehri Chatz». Also: «Das ist der Judith ihre Katze». Mangels Genitiv benutzt der Schweizer hier den Dativ. Und das ist auch gut so.
Gestelzt?
Wird allerdings Hochdeutsch gesprochen oder geht es um schriftliche Kommunikation, sieht die Sache schon wieder anders aus. Ungeachtet dessen wird er jedoch auch dann oft als zu gestelzt empfunden. Es ist des Teufels! Denn der Genitiv hat nach wie vor seine Berechtigung und wird von Menschen mit Sprachgefühl sehr geschätzt. Gerade heute, wo «Beziehungen» in aller Munde sind, sollte ein grammatikalischer Fall, der die Beziehungen im Satz verdeutlicht, einen höheren Stellenwert haben.
Modern ohne Apostroph
Gelegentlich ersetzt der Dativ den Genitiv aber zu Recht und zwar dann, wenn:
- ein doppelter Genitiv vermieden werden soll. Beispiel: «laut dem Bericht des Finanzchefs» (statt: «laut des Berichts des Finanzchefs»)
- im Fall des Plurals der Genitiv als solcher nicht zu erkennen ist. Beispiel: «wegen manchem», «wegen Vergangenem»
- die Präposition vor einem «unbekleideten» Nomen steht. Damit ist ein Nomen gemeint, das weder Artikel noch Attribut mit sich führt. Beispiel: «aufgrund von Prognosen»
Wird ein Eigenname (Peter, Christine, Herr Maier, ...) benutzt, steht der Eigenname im Genitiv an erster Stelle und erhält ein Genitiv-S: «Stefans Frau ist schon wieder schwanger». Endet der Eigenname auf -s, -tz, -x oder -z, wurde früher in der Schriftsprache ein Apostroph angehängt: «Ist das Hans’ Auto?» – «Fritz’ neue Freundin heisst Brigitte». Hier darf man getrost modern sein, Apostrophe gehören der Vergangenheit an. Gesprochen sind sie ohnehin nicht wahrnehmbar. Deshalb vermeidet man in der gesprochenen Sprache das Genitivattribut. Man verwendet die Form von + Dativ: «Ist das das Auto von Hans (Schweiz: vom Hans)?» – «Die neue Freundin von Fritz heisst Brigitte.» Es führt an dieser Stelle zu weit, auf den Genitivus possessivus, Genitivus partitivus, absolutus oder qualitatus einzugehen. Wichtig jedoch, um den Stil und die deutsche Grammatik korrekt anzuwenden, ist die richtige Anwendung nach einer Präposition.
Hier brauchts den Genitiv
abseits, abzüglich, anfangs, angesichts, anhand, anlässlich, anstatt, anstelle, aufgrund, ausgangs, ausschliesslich, ausserhalb, auswärts, bar (jeder Vernunft), begierig, beiderseitig, beiderseits, beidseits, bergseits, bezüglich, diesseits, eingangs, eingedenk, einschliesslich, einwärts, exklusive, fähig, im Falle, fernab, frei, froh, fündig, geachtet, gedenk, gelegentlich, gewahr, gewiss, gewohnt, habhaft, halber, hinsichtlich, hinsichts, infolge, inklusive, inmitten, innerhalb, innert, jenseits, kraft, kundig, längs, längsseits, ledig, linkerhand, linkerseits, links, linksseitig, mächtig, mangels, mithilfe, mittels, müde, namens, nördlich, ob (ob des erlittenen Verlustes), oberhalb, östlich, im Rahmen, rechterhand, rechts, rechtsseitig, satt, seitab, seitwärts, schuldig, seitens, seitlich, sicher, statt, an … statt, südlich, teilhaft, teilhaftig, überdrüssig, um … willen, unbenommen, unbeschadet, ungeachtet, ungedenk, unkund, unkundig, unteilhaft, unterhalb, unweit, unwert, unwürdig, aus Ursachen, verdächtig, verlustig, vermittels, vermöge, voll, voller, vonseiten, vorbehaltlich, während, wegen, weitab, wert, westlich, würdig, zeit, zufolge, zugunsten, zulasten, zuungunsten, zuzüglich, zwecks. Ausnahmen (gehen auch mit Dativ einher): binnen, dank, laut, trotz.