Interview

«Menschen streben nach Anerkennung»

Wie sein berühmter Vorfahre beschäftigt sich Moritz Freiherr Knigge damit, wie wir besser miteinander umgehen. Ein Gespräch über Achtsamkeit, Kommunikation und Wertschätzung im Unternehmensalltag – und warum diese Faktoren der Schlüssel zu mehr Mitarbeiterengagement sind.

Herr Knigge, Ihr Name steht traditionell für Anstandsregeln. Bürde oder Privileg? 
Moritz Freiherr Knigge: Beides. Einerseits ist es ja «geil, ein Knigge zu sein», da die meisten Menschen äusserst höflich zu mir sind, wenn sie meinen Namen herausfinden. Andererseits nervt, dass immer wieder Menschen an mich herantreten, die von mir eine Absolution für ihre Kleinkariertheiten haben wollen. 

Das heisst … 
… beispielsweise im Sinne von: «Herr Knigge, wollen Sie nicht endlich das Wort ‹Mahlzeit› verbieten, oder können Sie den Jugendlichen nicht einmal erklären, dass man zur Begrüssung nicht ‹Hallo› sagt?» Dieses Schwarz-Weiss-Denken funktioniert heute einfach nicht mehr. Zudem beantworte ich ungern Etikette-Fragen, auch wenn ich die meisten beantworten könnte. Mich stört an diesen äusserlichen Regeln, dass viele Menschen sie nicht nach dem Motto «Jetzt mache ich es richtig» anwenden, sondern sich damit von anderen abheben wollen. Im Sinne von: «Schaut her, ich weiss wie es geht und ihr seid alle Banausen.» Deshalb habe ich mit der Etikette so meine Probleme. 

Inwiefern haben Knigge-Regeln und Etikette heute beispielsweise in Unternehmen noch Bestand?
Überall wo Menschen zusammenkommen, entwickeln sich gewisse Umgangsregeln. Hin und wieder werden sie niedergeschrieben, etwa in einem diplomatischen Protokoll. Oft sind es auch ungeschriebene Gesetze, die aber jeder kennt und befolgt. Beispielsweise in einer Agentur in Düsseldorf, wo der Chef darauf besteht, dass nur er rote Krawatten tragen darf. Das ist nirgendwo schriftlich festgehalten, aber alle wissen es. Für einen besseren Umgang miteinander sollten wir im Unternehmensalltag deshalb eine Sensibilität für solche ungeschriebenen Regeln entwickeln. 

Mit Ihrem Düsseldorfer Unternehmen beschäftigen Sie sich, wie wir besser miteinander klarkommen. Weshalb? 
Weil ich aus einer Familie komme, deren Name sprichwörtlich dafür steht, wie man etwas richtig macht. Und weil ich Kommunikation und den menschlichen Umgang einfach spannende Themen finde, die jeden Menschen beschäftigen und etwas angehen. Wir sind nun einmal soziale Wesen. Aber nur weil wir sprechen gelernt haben, heisst das noch lange nicht, dass wir auch erfolgreich kommunizieren können. Wir unterschätzen in der Kommunikation oft ihre Dynamik, deshalb passieren immer wieder kleine Unfälle, die zu Konflikten führen. 

Was sind für Sie kritische Punkte im Umgang miteinander?
Miteinander reden und kommunizieren kann manchmal sehr missverständlich sein. Das liegt daran, dass wir viele Worte benutzen, die nicht klar definiert sind. Wenn jemand beispielsweise eine Formulierung verwendet, die bei mir negativ abgespeichert ist, kann sie noch so positiv gemeint sein, ich verstehe immer das Gegenteil des Gemeinten. Allzu menschlich ist zudem, dass wir anderen oft vorschnell einen Angriff vorwerfen, statt nachzufragen, ob es sich nur um ein Missverständnis handelt. Wir gehen zu schnell in den Kampfmodus; wir Deutschen noch mehr als die Schweizer. Deshalb rufe ich immer wieder dazu auf, eine kulturelle Basis zu schaffen, die auf Achtsamkeit und Wertschätzung beruht. 

Achtsamkeit und Wertschätzung als Handlungsansätze zum besseren Umgang miteinander?
Durchaus. Ich arbeite immer gerne mit Beispielen. In Deutschland gab es eine Umfrage zur Höflichkeit. Das Ergebnis zeigte, dass sich 90 Prozent aller Deutschen mehr Höflichkeit wünschen. Wenn sich also 90 Prozent mehr Höflichkeit wünschen, dürften wir gar kein Problem damit haben. Der Haken ist jedoch, dass wir uns das so sehr von anderen wünschen, dass wir nicht mehr auf unser eigenes Handeln achten. Wir sollten uns deshalb öfters an der eigenen Nase nehmen.

Wer von anderen Engagement fordert, sollte selbst engagiert sein.

Wie können Unternehmen das menschliche Miteinander fördern?
Es wird ja schon sehr viel in diesem Bereich getan. Als ich begonnen habe, mich mit diesem Thema zu beschäftigen, waren Soft Skills und Kommunikation noch Randthemen. Zwischenzeitlich hat das System Wirtschaft verstanden, dass schlechte Kommunikation sehr teuer ist: Wenn etwas Geld kostet, reagiert das System. Heute gibt es Seminare für Mitarbeitende sowie Führungskräfte. Wir haben endlich begriffen, dass Führung als Disziplin besondere Fähigkeiten verlangt …

Welche?
Ich glaube, eine Grundtugend ist die Fähigkeit zur Angemessenheit. Eine Führungskraft, die mir sagt, ich behandle alle Mitarbeitenden gleich, hat ein Problem, weil nicht alle Mitarbeitenden gleich sind. Eine gute Führungskraft lernt, angemessen mit unterschiedlichsten Leuten umzugehen. Das Problem ist aber, dass es für Angemessenheit keine Regel gibt. Das stösst manche Führungskraft vor den Kopf, weil sie einen konkreten Lösungsansatz wollen, den sie umsetzen können. Das führt ab und an zu kruden Ergebnissen.

Beispielsweise?
Eine Führungskraft meinte kürzlich: «Herr Knigge, ich lebe eine Kultur der offenen Bürotür, zu mir kann jeder kommen.» Als ich fragte, wann denn der letzte Mitarbeitende dieses Angebot genutzt habe, kam als Antwort: «Keiner, also läuft ja alles super.» Dass keiner gekommen ist, weil das Grundvertrauen fehlt, realisierte diese Führungskraft nicht. Grundsätzlich ist es ja toll, wenn eine offene, agile Unternehmenskultur etabliert wird, aber sie muss auch täglich gelebt werden. 

Wie sehr beeinflusst der gute Umgang miteinander das Mitarbeiterengagement?
Sehr. Missverständnisse, unklare Rollenverteilungen, Konflikte zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden oder Abteilungsressentiments kosten Zeit und Energie. Das verhindert, dass die Arbeit geleistet wird, die bei einem guten Umgang möglich wäre, und stellt Bremsklötze dar, die Engagement, Kooperation und Innovation zum Stillstand bringen und dem Dienst nach Vorschrift die Türe öffnen. Und sie kosten auch. Das zeigt unter anderem der Engagement Index Deutschland des Gallup-Instituts*. Gemäss diesem Index verliert die deutsche Wirtschaft wegen schlechter Unternehmenskultur über hundert Milliarden Euro pro Jahr. Das zeigt: Miteinander macht Freude und führt auch zu mehr Engagement. 

Wie fördert man das Mitarbeiterengagement?
Durch eine Vorbildfunktion. Als Führungskraft stehe ich unter besonderer Beobachtung meiner Mitarbeitenden. Wer von anderen Engagement fordert, sollte selbst engagiert sein sowie die Interessen und Talente seines Teams kennen und berücksichtigen. Wenn Mitarbeitende ihre eigenen Talente einbringen können und weder Über- noch Unterforderung ihren Arbeitsalltag kennzeichnen, ist das der Rhythmus, bei dem sprichwörtlich jeder «mit muss». Engagement ist ansteckend, wenn es auf fruchtbaren Boden fällt.

Sie sprechen von ideellen Werten, die zu mehr Mitarbeiterengagement führen. Inwiefern spielen materielle Werte eine Rolle?
Ideelle und materielle Werte müssen in Balance sein. So wie Work und Life. Welche Art des Gleichklangs das Mitarbeiterengagement fördert, hängt in hohem Mass vom jeweiligen Unternehmen oder der jeweiligen Abteilung ab. So ist beispielsweise in vertriebsorientierten Einheiten die Orientierung an materiellen Werten in der Regel höher als in kreativen Umfeldern. Wichtig ist es, zu einem guten Mix zu finden, damit Mitarbeitende weder in Wohlfühloasen die Füsse hochlegen noch im Hamsterrad der Benefits die Orientierung verlieren. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass Menschen im direkten Gespräch bleiben – und nicht nur über digitale Kanäle verkehren. Ich versuche, die Menschen zum Nachdenken anzuregen, und habe den Glauben nach wie vor nicht daran verloren, dass ein guter Umgang etwas sehr Wichtiges ist. 

... wo wir wieder beim «alten Knigge» wären.
Ja, der muss ein ziemlich cooler Typ gewesen sein, der «alte Knigge». Er hat uns ein sehr zeitloses Werk hinterlassen. Was wiederum belegt, dass sich das, was Menschen als gut empfinden, in den letzten hundert Jahren nicht gross verändert hat. Nur weil wir heute im digitalen Zeitalter leben, sind wir nicht völlig neue Menschen geworden.

Moritz Freiherr Knigge

ist ein deutscher Autor und Redner. Wie sein Urahn Adolph Freiherr Knigge ist auch er auf dem ostdeutschen Rittergut -Bredenbeck aufgewachsen. Nach einer Ausbildung zum Verlagskaufmann in Göttingen, einem Studium der Betriebs-wirtschaftslehre in Berlin und der Leitung des Grosskundenvertriebs zweier Online-Personalmarketing-Unternehmen gründete Moritz Freiherr Knigge 2003 in Düsseldorf seine -eigene Firma, die Freiherr Knigge OHG. 2004 veröffentlichte Moritz Freiherr Knigge sein erstes Buch mit dem Titel «Spiel-regeln – wie wir miteinander umgehen sollten». Seither folgten weitere Veröffentlichungen zum Umgang mit -Menschen. Sein jüngstes Werk heisst «Mensch bleiben: Wie wir besser miteinander klarkommen».

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Der Gallup Engagement Index ist Deutschlands umfangreichste Studie zur Arbeitsplatzqualität. Seit 2001 untersuchen die Studienverantwortlichen auf Basis des Befragungsinstruments Q12®, wie hoch der emotionale Bindungsgrad von Mitarbeitenden an ihre Arbeitgebenden ist und wie gross ihr Engagement und die Motivation bei der Arbeit sind.

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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