Kartoffelsalat und andere Investitionen
Kleinvieh macht auch Mist: Wenn jeder nur einen kleinen Betrag gibt, kann viel zusammenkommen – und zwar für so ziemlich jedes Projekt. Nach diesem Prinzip funktioniert Crowdfunding. Das Geldsammeln im Internet boomt seit Kurzem auch in der Schweiz
Chloé Kuntzmann ist ziemlich fertig, aber glücklich: Mitte September hat sich die 27-Jährige einen Traum erfüllt und in Olten ihren eigenen Cupcake-Laden eröffnet. Den Sprung in die Selbständigkeit hat die gelernte Dekorationsgestalterin mit Unterstützung der Internetgemeinde geschafft.
Früher backte sie die feinen Küchlein zu Hause und brachte sie zur Arbeit oder zu Freunden mit. «Von vielen habe ich dann gehört: Die sind so toll, da müsstest du mehr draus machen.» Daraufhin fing sie an, ihr Naschwerk mit einer Internetseite zu bewerben und zu verkaufen – im kleinen Rahmen, neben dem Hauptjob. Dann kam ihr die Idee für einen Stand auf dem Wochenmarkt. «Es war ganz schön schwer, jemanden zu finden, der solche Stände baut. Und ganz schön teuer», erinnert sie sich. 3000 Franken für den Stand, dazu Verpackungen und Transportboxen, insgesamt 5000 Franken bräuchte sie für den Start, rechnete sie zusammen. Aber woher sollte das Geld kommen?
Grosses Wachstumspotenzial
Im Mai 2013 meldete sie sich bei der Plattform 100-days.net an. Die Mitarbeiter dort hätten sie gut beraten, lobt sie. «Zum Beispiel haben sie mir gesagt, dass man auf jeden Fall ein Video auf seine Projektseite stellen sollte. Dann schickten sie mir kleine Flyer zum Verteilen. Man konnte auch Abreisszettel bestellen, die man am schwarzen Brett in Supermärkten aufhängen kann.» Auch auf ihrer Facebook-Seite informierte sie über die Fortschritte. «Am Anfang kamen viele Spenden auf einmal, zwischendurch ist es ein bisschen eingebrochen. In der letzten Woche fehlten noch 1000 Franken, da habe ich dann noch einmal alle Ressourcen mobilisiert.» Und siehe da: Zur Deadline waren exakt 5555 Franken auf ihrem Crowdfunding-Konto angekommen. Und dann ging es los, samstags auf den Quartierwochenmarkt oder den Wochenmarkt in der Basler Altstadt. «Zur Weihnachtszeit bin ich auch auf Weihnachtsmärkte in anderen Städten im Baselland gegangen», berichtet Chloé Kuntzmann. Anfang dieses Jahres zog sie dann in die Nähe von Olten um, wo sie nun täglich in ihrem eigenen Laden steht. Ihren Marktstand wolle sie aber nicht im Keller stehen lassen: «Mittelfristig plane ich, damit auch auf den Wochenmarkt in Olten zu gehen.»
Einen weltweiten Bekanntheitsschub erhielt das Thema Crowdfunding diesen Sommer dank eines Kartoffelsalats. Der Amerikaner Zack «Danger» Brown startete über die Plattform Kickstarter eine Sammlung in der Höhe von zunächst zehn Dollar für, genau, einen Kartoffelsalat. Zunächst sollte die Aktion ein Scherz sein. In der Kategorie «Risiken» in der Projektbeschreibung notierte er zum Beispiel: «Vielleicht wird er nicht besonders gut. Es ist mein erster Kartoffelsalat.» Seine Seite verbreitete sich schlagartig im Web, und zum Ende des Projekts am 2. August hatte der Programmierer sage und schreibe 55 000 Dollar gesammelt. Damit, kündigte er an, werde er in seinem Heimatstaat Ohio ein Kartoffelfestival veranstalten. Den Erlös daraus wiederum wolle er an Organisationen spenden, die sich für Obdachlose und gegen Hunger engagieren.
In der Schweiz ist Crowdfunding noch ein kleines und junges Geschäft, aber mit grossem Wachstumspotenzial. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern. Im vergangenen Jahr wurden demnach hierzulande 11,6 Millionen Franken über Crowd-funding vermittelt – rund doppelt so viel wie im Jahr davor und viermal so viel wie 2011. «Wir gehen davon aus, dass sich das Gesamtvolumen auch im laufenden Jahr verdoppeln wird», erklärt Co-Studienleiter Prof. Andreas Dietrich. Die erste Crowdfunding-Plattform ging in der Schweiz 2008 an den Start, Ende letzten Jahres waren es 14 Anbieter.
Die unterschiedlichen Plattformen bieten verschiedene Arten des Crowdfunding an: Investieren, Leihen, Unterstützen und Spenden. Beispielsweise über investiere.ch kann man andere an seinem Unternehmen, meist einem Start-up, beteiligen. «Interessant ist dieses Modell für die Investoren vor allem dann, wenn das Unternehmen von einem anderen übernommen wird», erklärt Andreas Dietrich.
Ein halbes Jahr vorher planen
Über Anbieter wie cashare.ch kann man Geld von anderen leihen – mit Zinsen, die bei einem Auktionsverfahren festgelegt werden. «Dabei können manche schon günstigere Konditionen erhalten als bei der Bank», sagt Andreas Dietrich. Eine Bonitätsauskunft ist hier allerdings ebenso wie bei einem Kreditinstitut Pflicht, mit Einkommensnachweis, Auskunft über laufende Ausgaben und eventuelle Schuldner-Daten von der Creditreform. Häufig wird hier um ein Konsum-Darlehen geworben – etwa für ein Ferienhaus oder ein neues Auto – aber auch für die Finanzierung einer Ausbildung oder, wie in einem kürzlich erfolgreich abgeschlossenen Projekt, für eine Scheidung.
Die meisten Einzelprojekte gibt es im Bereich Unterstützen und Spenden. Wer hier Geld gibt, erhält nur eine kleine – oder beim Spenden eben keine – Gegenleistung. Es geht aber auch nicht darum, gewinnbringend zu investieren, sondern Projekte zu unterstützen, die man persönlich gut findet. In diesem Bereich gibt es auch spezialisierte Anbieter: Bei ibelieveinyou.ch geht es ausschliesslich um Sportförderung, bei wemakeit.com werben Künstler, Musiker und andere Kreative um Zuschüsse für eine Ausstellung, eine Albumproduktion oder eine Buchveröffentlichung. Im Gegenzug erhalten die Unterstützer zum Beispiel eine Einladung zur Vernissage, freien Eintritt und Backstage-Karten für das nächste Konzert oder ein signiertes Buch.
Die Musikerin und Gesangslehrerin Karen Anders aus Bern fand ihre Unterstützer auf projektstarter.ch. Gerade hat sie dort das Geld für die Aufnahmen einer Promo-CD mit selbst komponierten Liedern zusammenbekommen. «Es ist sogar etwas mehr als ich angegeben habe, jetzt kann ich auch noch die Pressung und das Booklet bezahlen», berichtet sie. Die Studioaufnahmen laufen schon, bis Ende Oktober, hofft sie, sind die Tonträger lieferbereit. Anderen, die es mit Crowdfunding versuchen wollen, rät sie: «Man sollte wenigstens ein halbes Jahr vorher mit der Planung anfangen, nicht erst, wenn man schon mittendrin im Projekt ist.» Schliesslich müsse man auch Zeit in die Bewerbung des Projekts investieren.
Sie selbst warb auf ihrer Funding-Seite mit Fotos sowie Hörproben und stellte einen Budgetplan darauf. Auch sie nutzte jede Gelegenheit, ob auf so-zialen Netzwerken oder bei Veranstaltungen, um auf ihr Projekt aufmerksam zu machen. An ihrem Geburtstag gab sie ein Konzert für Freunde und Verwandte und bat um Spenden statt Geschenke. Als Gegenleistung für die Unterstützer bot sie, je nach Betrag, zum Beispiel eine signierte CD, eine Gesangsstunde oder ein Wohnzimmerkonzert.
In den USA oder in Grossbritannien, hat Andreas Dietrich herausgefunden, ist der Crowdfunding-Markt pro Kopf bedeutend grösser als in der Schweiz. Allerdings, so der Professor, seien die Eidgenossen anderen Ländern bei der Erfolgsquote voraus. Allein im Bereich des Unterstützens und Spendens komme in der Schweiz bei 60 Prozent der Projekte die Finanzierung zustande – der internationale Durchschnitt liege bei 53 (Unterstützen) und 41 Prozent (Spenden). Als Grund dafür vermutet Andreas Dietrich, dass die Spendenbereitschaft hierzulande grundsätzlich höher sei als anderswo: «‹Geiz ist geil› ist eher nicht die Schweizer Mentalität.»