premium Korrespondenz-Tipps

Menschen lesen, besser schreiben

Was ist gute Korrespondenz? Sie ist einfach und anspruchsvoll zugleich. Richtig gute E-Mails und Briefe sind passend. Menschen zu lesen und sich in ihre Lage zu versetzen, ist die Basis gelingender Kommunikation. Einige Impulse helfen, Menschen besser zu verstehen.  

Mythos richtig und falsch

Auch wenn bei vielen die kaufmännische Ausbildung lange zurückliegt, sitzen Glaubenssätze und Regelwerke tief. Glaubenssätze blockieren das Denken und Regelwerke schränken die Sicht ein. Am stärksten zeigt sich das auf der Suche nach der korrekten Anrede. Vergessen Sie «korrekt». Konsultieren Sie Ihr Bauchgefühl und achten Sie darauf, wie Ihnen jemand schreibt. Hier gilt es, ­Menschen zu lesen und verstehen zu lernen. Anrede und Gruss sind Begrüssungs- und Verabschiedungsrituale. Diese Rituale zeigen, wie wir zueinanderstehen und wie wir Nähe und Distanz leben.

Tipp: Sprechen Sie bei Gruppen die Menschen möglichst persönlich an. Singular hilft: «Guten Morgen, liebe Kollegin, lieber Kollege». Und wenn die Gruppen keine Kolleginnen und Kollegen sind, dann überlegen Sie, welche Ansprache zur Funktion passt. Es gibt Unternehmen und Organisationen, die «Frau» und «Herr» weglassen und Personen mit dem ganzen Namen ansprechen: «Guten Tag, Martina Muster». Und beim Ping-Pong-Mailverkehr lassen wir Anrede und Gruss schnell weg. Wann Sie das tun, entscheiden Sie beziehungsweise Ihr Gegenüber. Auch hier gilt: Gefühl vor Regel.

Tipp: Hinterfragen Sie für sich oder in Ihrem beruflichen Umfeld Regeln und Glaubenssätze. Beides steht einem dynamischen Kommunikationsstil im Weg. Ein typischer Glaubenssatz begegnet mir auch nach über 30 Berufsjahren regelmässig. «Ich» am Anfang eines Satzes – das geht für viele gar nicht! Vergessen Sie das bitte. «Ich danke Ihnen für ...» ist natürlicher als «Ihnen danke ich für ...». «Ich» darf sein und zeigt, dass Sie Ihre Inhalte auch als Mensch senden. Wir sind keine Infoautomaten. Achten Sie einfach auf die Balance. Wenn jeder Satz mit Ich beginnt, ist das genauso komisch wie ein übertriebenes Sie und Ihnen. Lesen Sie sich Ihre Nachricht laut vor und Sie hören besser, wie Sie klingen.

Künstliche Intelligenz als Coach

Kürzlich habe ich mein KI-Tool Copilot um einen Kommentar zu einem meiner E-Mails gebeten. Mein Stil, so meine Selbsteinschätzung, ist eher informell. Und prompt kam der Rat, formeller und distanzierter zu schreiben, vor allem in der Anrede. Copilot holte aus und erklärte mir, dass in der Businesswelt Konformität erwünscht sei. Ich solle meine Anrede anpassen und auf «Sehr geehrte Damen und Herren» wechseln.

Das habe ich natürlich nicht getan und ein paar Tage später um ein erneutes Feedback gebeten. Mein KI-Tool bot mir an, den Text formell, kreativ oder gewissenhaft zu prüfen. Das finde ich interessant, weil unterschiedliche Stile Räume öffnen und zeigen, wie flexibel, farbig und unterschiedlich wir aufeinander zugehen dürfen.

Tipp: Schreiben Sie einen Text mit unterschiedlicher Struktur und Wortwahl. Überlegen Sie, zu wem ein Stil passen könnte. So trainieren Sie Flexibilität und die Fähigkeit, Menschen besser einschätzen zu können. Und üben Sie mit künstlicher Intelligenz. Sie nimmt uns das Menschsein und unser kritisches Denken nicht ab. Sie liefert Ideen und bietet neue Möglichkeiten an.

Das Ego und die Korrespondenz

Eigensicht gefährdet gute Kommunikation. Das Ego lässt das Einfühlungsvermögen verkümmern und schliesst das Gegenüber aus. Die Folgen: Gespräche und Texte kommen nicht gut an. Der Arbeitsaufwand wird grösser, weil wir an Menschen vorbeikommunizieren. Negative Emotionen verstärken sich, Missverständnisse und Stress nehmen zu.

Tipp: Legen Sie Ihr Infoziel vor dem Schreiben oder Sprechen fest. Machen Sie sich klar, was Sie inhaltlich und persönlich sagen und wie Sie wirken möchten. Wechseln Sie die Perspektive und betrachten Sie die Dinge aus Sicht Ihres Gegenübers. Stellen Sie Fragen. Womit müssen wir rechnen, wenn wir ... mitteilen? Was würde ich zu ... sagen? Wie denkt ... über ...? Was wäre mir besonders wichtig? Mit diesen Fragen arbeite ich in meinen Workshops, was die Stimmung belebt und zu lebendigeren Texten oder Gesprächen führt.

Tipp: Überarbeiten Sie Ihre E-Mails, Briefe oder Berichte aus Sicht Ihrer Lesenden. Auf vielen Websites steht das Wort «adressaten­gerecht». Prüfen Sie, wie oft Sie das wirklich umsetzen.

Richtig starten und gut landen

Viele fragen mich, was gute Anfangs- und Schlusssätze sind. Keine Ahnung! Natürlich habe ich eine Ahnung, aber die Frage lässt sich so nicht beantworten. Ich muss wissen, wer mein Gegenüber ist und worum es inhaltlich geht.

Tipp: Der erste Satz ist wie das Foyer in einem Unternehmen. Hell, freundlich, positiv, begrüssend und zugewandt. Der erste Kontakt zählt und bestimmt, wie die weitere Kommunikation verläuft. Beginnen Sie also positiv und bitte nicht bürokratisch mit «Gemäss Ihrem Schreiben vom ... teilen wir Ihnen Folgendes mit: …». Seien Sie natürlich: «Ich danke Ihnen … / Wir danken Ihnen … / Vielen Dank für … / Gerne beantworten wir … / Gerne gehen wir ein auf …».

Tipp: Was wünschen sich Menschen am Ende einer Geschichte? Ein Happy End. In meinen Workshops hat noch niemand etwas anderes gesagt. Vergessen Sie also «Wir bedauern, Ihnen keinen besseren Bescheid geben zu können.» Diesem Satz fehlt das Profil, die echte Menschlichkeit, die Authentizität. Schliessen Sie ab mit einer Einladung, lassen Sie die Tür geöffnet: «Wenn Sie eine Frage zu diesem Entscheid / zu … haben, dann sprechen Sie uns an. Sie ­erreichen uns …». Oder Sie sagen: «Ich bin Ihre Ansprechpartnerin.» Oder: «Am besten/einfachsten/schnellsten erreichen Sie uns unter …». Fühlen Sie sich ein und Sie finden den passenden Schluss.

Gespräche mit dem Vulkan

Keine Angst, hier ist nicht das volle Feuer mit seiner eruptiven und zerstörerischen Gewalt gemeint. Es geht um die Werte, um das innere Feuer, das immer brennen sollte im Kontakt mit uns selber und anderen. Ich arbeite meist mit den vier Basiswerten, die vielen Menschen sehr wichtig sind.

Der Liebe: Sie prägt unser Kontaktverhalten. Manche beginnen eine Unterhaltung mit der Frage nach dem Befinden. Andere verzichten darauf und steigen gleich in die Nachricht ein. Beide haben recht, denn die Situation und die Bedürfnisse des Gegenübers entscheiden.

Der Freiheit: Menschen haben eine Wahl. «Sie nehmen … in Kauf. Deshalb unsere Bitte: …». Wer so schreibt, achtet auf die Freiheit. Wörter wie «gezwungen» oder Wendungen wie «Wenn Sie nicht, dann …» engen ein und nehmen die Wahlfreiheit.

Dem Frieden: Er braucht den Dialog auf Augenhöhe. Nutzen Sie Wörter wie «gemeinsam», «zusammen», «mit Ihnen …». Wenn Sie an den Frieden denken, dann ist der Fokus auf der Lösung, auf einer Einigung, auf einem Entgegenkommen.

Der Gesundheit: Sie ist vital, lebendig und frisch. Nutzen Sie mehr das Präsens anstelle des Perfekts (hat, haben) und lassen Sie Verben sprechen. Nutzen Sie mehr «ansprechen» und «wenden an» anstelle von «in Verbindung setzen». Verben bringen Botschaften leichter voran.

Tipp: Sprechen Sie mit Ihrem persönlichen Vulkan und finden Sie heraus, welchen Werten Sie folgen.

Mehr schauen, weniger bewerten

Wir Menschen werten, ordnen ein, ziehen Schlüsse – oft sekundenschnell. Menschen sehen und sich in sie hineinversetzen legt den Grundstein für gute Kommunikation. Ein paar Tipps:

  1. Menschen wahrnehmen. Beschreiben Sie Ihre Zielgruppe und ­Personen, mit denen Sie oft zu tun haben. Achten Sie darauf, wertfrei zu bleiben. Das führt auch zu besseren Formulierungen: «Ihre Antwort ist noch offen.» Bewertung klingt so: «Leider haben Sie noch nicht geantwortet.»
  2. Versuchen Sie bei anspruchsvollen Menschen, ihre Motive zu erkennen. Wer zum Beispiel laut wird, möchte gesehen werden oder fühlt sich übergangen. Laut werden ist vielleicht nicht ange­messen, aber das Motiv dahinter ist positiv.
  3. Stellen Sie Fragen und verzichten Sie auf Empörung. Wenn jemand pauschalisiert und negativ spricht, fragen Sie nach: «Wie meinen Sie das?» / Das höre ich nicht gerne, womit hat … zu tun?» Fragen sind auch in Texten hilfreich, denn sie beleben und wirken einladend.
  4. Betonen Sie Ihre Lösungsabsicht: «Wir möchten uns einigen.» Haben Sie keine Angst vor dem Wort «möchten». Es ist ein Wunderwort, wenn es um ein Anliegen oder einen Wunsch geht.
  5. Stellen Sie (alte, überholte) Regeln oder Glaubenssätze in Frage und gehen Sie mit mehr Bauchgefühl an Themen und Menschen heran.
  6. Halten Sie mündlich und schriftlich die Balance zwischen Thema und Mensch. Sagen oder schreiben lässt sich fast alles – die Frage ist, wie wir das tun. 

 

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Angelika Ramer trainiert seit über 15 Jahren Unternehmen in schriftlicher Kommunikation und verfasste zu diesem Thema fünf Sachbücher. Die Kommunikationsberaterin und frühere Journalistin ist Inhaberin der «Identität ist Sprache – Ramer & Partner AG».

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