Interview mit Bodo Janssen

«Die Führung der Zukunft ist weiblich»

Führung ist das Herzensthema von Bodo Janssen, Buchautor und CEO des deutschen Hotelunternehmens Upstalsboom. Ein Gespräch über das neue Führen, die wichtigsten Führungskompetenzen, den Unterschied von Führung und Management sowie die ­Assistenz als persönlichen Coach.

Assistenzen kennen oft beide Seiten der Leadership-Medaille – als Geführte, aber auch als Führungskraft. Was ist schwieriger: sich führen zu lassen oder zu führen?
Bodo Janssen: Das hängt sehr stark vom Vertrauen ab, in mich selbst wie in andere. Wenn mein Selbstvertrauen gross ist, steigt die Bereitschaft, mich führen zu lassen. Weil ich weiss, wo meine Stärken liegen und wo nicht. Wo ich somit getrost anderen die Führung überlassen kann, die es besser können. Als Beispiel: Im letzten November konnte ich für unser Unternehmen einen kaufmännischen Leiter gewinnen. Gestern sind wir zusammengesessen und ich sagte zu ihm: «Carsten, es fällt mir leicht, mich von dir führen zu lassen, denn ich vertraue auf das, was und wie du es tust.»

Das ist nicht selbstverständlich.
Mir wird häufig die Frage gestellt: Wie kannst du noch Menschen vertrauen, nachdem dir dein damals bester Freund nach dem Leben getrachtet hat? (Anm. d. Red.: Bodo Janssen wurde 1998 entführt). Für mich gibt es zwei Ebenen von Vertrauen. Ich kann mein Vertrauen vom Verhalten anderer Menschen abhängig machen. Da ist die Gefahr gross, dass ich enttäuscht werde, weil ich nicht darüber verfügen kann, wie sich andere Menschen verhalten. Das Vertrauen ist somit brüchig. Oder ich kann, und das habe ich mir angewöhnt, mein Vertrauen gegenüber Menschen unabhängig von ihrem Verhalten machen und mir sagen, egal was mir im Leben widerfährt, es entsteht dadurch immer eine Möglichkeit, als Mensch zu wachsen.

Nebst Vertrauen ist Empathie ein essenzieller Faktor in der Führung. Wie sehen Sie das?
Das Fundament gelingender Beziehungen liegt definitiv eher auf dem, was wir fühlen, als auf dem, was wir verstehen. Empathie wird deshalb immer wichtiger und somit die Frage: Mit welcher Verhaltensweise werde ich allen Mitarbeitenden gerecht? Heute Vormittag führten mein kaufmännischer Leiter und ich diverse Mitarbeitendengespräche, die strukturell sehr unterschiedlich verliefen. Er fragte: «Wieso?» Ich entgegnete: «Weil wir versuchen, jeder und jedem Einzelnen gerecht zu werden. Mitarbeitende brauchen eine individuelle Behandlung, um ihre Kräfte entfalten zu können.»

Sich in andere hineinversetzen zu können, hat auch viel mit Selbstreflektion zu tun. Wie lernt man das?
Eine gute Möglichkeit ist, sich selbst aus der dritten Person heraus zu betrachten. Die eigenen Gedanken- und Verhaltensmuster zu studieren – und damit meine ich nicht, sie zu bewerten, sondern nur, sie zu erkennen. Aha, so fühle, denke und handle ich. Meist löst diese Erkenntnis bereits eine Veränderung bei einem selbst aus. Wenn ich beispielsweise feststelle, dass ich in dieser Situation überreagiert habe, werde ich das beim nächsten Mal wahrscheinlich nicht mehr tun. Denn nur wer sich selbst reflektiert, ist sich seines eigenen Handelns bewusst.

Bodo Janssen

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Bodo Janssen

Foto: zVg

Bodo Janssen studierte BWL und Sinologie und stieg im Anschluss ins elterliche Hotelunternehmen ein. Als sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, übernahm er die Führung der Hotelkette. Nachdem er bei einer Mitarbeiter­befragung vernichtende Ergebnisse erhalten hatte, beschloss er, für eineinhalb Jahre ins Kloster zu gehen. Nach dieser Zeit der inneren Einkehr leitete Bodo Janssen in seinem Unternehmen einen Paradigmenwechsel ein mit dem Ziel, eine authentische Unternehmenskultur zu entwickeln, in der alle Mitarbeitenden im Unternehmen das leben können, was ihnen als Menschen wichtig ist.

Unsere Zielgruppe ist zu über 95 Prozent weiblich. Frauen wird oft ein anderes Führungsverhalten nachgesagt. Ist das wirklich so?
Für mich fühlt es sich besser an, wenn wir beim Thema Führung nicht über Geschlechter, sondern über Menschen sprechen. Wobei man natürlich nicht ausser Acht lassen darf, dass ein Grossteil der Frauen traditionell in den letzten Jahrzehnten anders gefordert war als die Männer – und diese Anforderungen sowie daraus entstandenen Kompetenzen entsprechen heute vielmehr dem, was wir in der Führung haben möchten. 

Sie sprechen die Sozialkompetenzen an …
… Genau, dieses zwischenmenschliche, vertrauensvolle und liebende. Wobei ich diese Kompetenzen definitiv nicht allen Frauen zu- wie allen Männern absprechen möchte. Wir sind keine Objekte, wir sind Menschen und unterscheiden uns. Aber Frauen besitzen meiner Meinung nach einen physiologischen Rundumblick, der sich nicht nur auf das Erreichen von Zielen konzentriert, wie es ­traditionell bei Männern und ihrer Rolle als Jäger häufig der Fall war. Denn diese Ziele können durch sich ändernde Umstände plötzlich irrelevant werden und verlangen eine Flexibilität des Denkens und Handelns. Für die Zukunft ist es deshalb unerlässlich, genau diese Fähigkeiten und Eigenschaften, die traditionell dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben werden, mehr wertzuschätzen und zu integrieren. Ich gehe sogar so weit zu sagen, die Führung der Zukunft ist weiblich.

«Führung und Management gehören zusammen», schreiben Sie in Ihrem aktuellen Buch. Was ist der Unterschied?
Ich führe Menschen und manage Prozesse, Zahlen, Daten und Fakten. Management ist rational, auf den Verstand bezogen und hat zum Ziel, Ergebnisse sicherzustellen. Führung indes ist auf die Menschen bezogen und hat das Ziel, diese zu stärken. Gutes Management ist jedoch ohne Führung nicht möglich und gute Führung wiederum nicht ohne gutes Management. Es braucht beides. Ich selbst bin beispielsweise sehr auf das Thema Führung ausgerichtet und habe das Thema Management in den letzten Jahren etwas verkümmern lassen. Deshalb habe ich mir nun einen kaufmännischen Geschäftsführer geholt, der diesen Bereich abbildet. Die Erwartungen an Führungskräfte in Bezug auf den Umgang mit den Menschen sind heute so anspruchsvoll geworden, dass sich diese beiden Themen heute nicht mehr so leicht vereinbaren lassen.

… und was ist wichtiger beziehungsweise wie schafft man es, dass ein Bereich nicht Oberhand gewinnt?
Dafür kann man klare Regeln einführen. Ich nehme als Beispiel gerne ein Kloster. Hier haben wir den Abt als geistigen Führer und den Cellerar als wirtschaftlichen Leiter. In der Hierarchie steht der Abt über dem Cellerar. So erleben wir es auch bei uns. Unser Credo ist: Die Wirtschaftlichkeit ist zwar die Basis unserer Existenz, nicht aber der Sinn unseres Handelns. Das heisst, der Sinn steht hierarchisch immer über dem kaufmännischen Erfolg. Das erlebt man in vielen Firmen anders. Dort ist das Ergebnis die heilige Kuh. Wohlstand wird mit Wohlbefinden verwechselt und dann wundern sich viele, dass sie zwar viel (Materielles) besitzen, aber unglücklich sind. Als Unternehmen muss man sich deshalb klar werden: Was bedeutet Führungserfolg für mich? Für mich ist es beispielsweise nicht, Ergebnisse zu maximieren, sondern, die Resilienz der Mitarbeitenden zu erhöhen.

Wer die Resilienz stärkt, stärkt auch die Wirtschaftlichkeit, weil die Leute weniger ausfallen und mehr Engagement zeigen. Das ist einfach eine andere Art …
… Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben. Hinzu kommt: Menschen lassen sich wenig dadurch bewegen, was andere getan haben, sondern vielmehr durch Erfahrungen, die sie selbst machen. Die Kunst der Führung besteht darin, Menschen zu unterstützen, ohne sie zu belehren oder zu kritisieren, sondern sie daran zu erinnern, was schon da ist.

Ist das auch gegenüber Vorgesetzten anwendbar?
Ja. Vielleicht braucht die Führung von morgen eine Assistenz, die auch Coach ist. Zumal sich immer mehr Führungskräfte jemanden an ihrer Seite wünschen, der nicht nur tut, was man sagt, sondern jemanden, der auch die Fähigkeit besitzt, Situationen anzusprechen. Das ebenfalls nicht durch Kritik, sondern durch Fragen. Beispielsweise zeigen offene Fragen Interesse und werten nicht. Und bedingungsloses Interesse ist die grösste Art von Wertschätzung, die man einem Menschen entgegenbringen kann.

Was sind für Sie die wichtigsten Kompetenzen bei der Führung?
Demut, Geduld und Gelassenheit. Demut im Wissen, dass meine Meinung oder meine Lösung für eine Situation eine von vielen ist. Demut aber auch im Sinne von die eigenen Schwächen und Stärken kennen und die Bereitschaft besitzen, sich zu entwickeln und jemanden zu finden, der das kompensiert, was man selbst nicht gut kann. Geduld im Sinne des Bewusstseins, dass ich über das Wenigste im Leben selbst verfügen kann und dass die Verhaltensweisen anderer Menschen nicht in meiner Macht liegen. Ich kann nicht sagen «Christine, vertrau mir jetzt», sondern es braucht Geduld, bis dieses Vertrauen entstehen kann. Aushalten können ist eine ganz grosse Herausforderung für Führungskräfte. Auszuhalten, dass Dinge anders laufen, als ich es mir vorstelle, ohne es zu verurteilen. Dazu braucht es innere Gelassenheit.

Geradezu stoisch …
… Diese Ansätze kommen aus der stoischen Philosophie. Es gibt ja dieses Gelassenheitsgebet: «Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Das ist das, worüber ich verfügen kann, was in meiner Macht steht – nicht mehr und nicht weniger.

Sie haben früher viel mit Führungskräfte-Trainer Anselm Grün zusammengearbeitet, dessen Fokus auf der «spirituellen ­Führung» liegt. Wie wichtig ist Spiritualität für eine Führungsperson beziehungsweise macht es sie zu einer besseren ­Führungskraft?
Ich glaube, wir sind alle spirituell, aber wir haben nicht alle eine Religion. Spirituell bedeutet für mich, dass ich das, was mir als Mensch wirklich wichtig ist, im Leben im Alltag lebe. Das hat nichts mit Religion zu tun, sondern vielmehr damit, was mich begeistert. Wobei es auch hier Grenzen gibt. Denn zu grosse Begeisterung kann auch verletzend sein. Wenn ich ein begeisterter Veganer bin, kann das bei meinem Gegenüber Schuldgefühle auslösen, und deshalb ist Begeisterung auch mit Vorsicht zu geniessen. Man darf die anderen nicht überfordern. Also halte ich mich mit ab und an ein wenig zurück.

Buchtipp: Das neue Führen – Führen und sich führen lassen in Zeiten der Unvorhersehbarkeit

 

Noch nie waren wir mit der Unvorhersehbarkeit des Lebens so konfrontiert wie heute. Nicht nur privat, sondern auch beruflich. Als Führungskräfte sind wir gefordert: Wir müssen wirtschaftliche Zwänge und Probleme genauso abfedern wie die Sorgen und die Nöte unserer Mitarbeitenden. Wie gewinnen wir die Gelassenheit und Klarheit, die wir jetzt brauchen, um Einzelne und die Gemeinschaft zu stärken? Bodo Janssen überdenkt in seinem neuen Buch die Prinzipien der Führung und schafft einen Wegweiser für die Zeitenwende. Eine Lektüre mit hohem Praxiswert für Führungskräfte aller Ebenen – voller Kraft, Weisheit und Vision.

Das neue Führen
Bodo Janssen
Ariston Verlag,
2023, 240 Seiten

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Christine Bachmann ist die Chefredaktorin von Miss Moneypenny.

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