Kolumne

Brot und Spiele

Wer hätte gedacht, dass dieser vom römischen Dichter Juvenal im Jahr 138 geprägte Begriff dast 2000 Jahre später noch Gültigkeit hat, wenn es darum geht, das Volk bei Laune zu halten. Gerade ist wieder die Zeit, in der sämtliche Geschäftsleitungen Weih-nachts-feiern organisieren lassen, bei denen ordentlich Essen und Trinken aufgefahren wird. Die Schreinerei Hämmerli organisiert einen Fondueabend, bei der Raiffeisenbank trägt Peach Weber Witze vor, bei McKinsey fliegen sie Beyoncé ein und im SVP-Vorstand gibt’s zum Hackbraten einen strategischen Jodel von den Blocher Brothers. So vielfältig die Bemühungen der Chefetagen sind, so facettenreich sind auch die Mitarbeiter, die sich auf diesen Veranstaltungen tummeln. Unterteilen wir sie in drei Kategorien:
 

Die Spielverderber 

Eigentlich wollten sie gar nicht kommen, weil das eben alles nur Brot und Spiele sind. Sie lassen sich schliesslich nicht von solchen Mätzchen beeindrucken. Sie kommen dann aber doch, weil man ja gute Miene zum bösen Spiel machen muss. Dann nippen sie den ganzen Abend an einer Cola Zero und meckern. Die Auswahl an alkoholfreien Drinks ist zu klein, es gibt keine veganen Häppchen, der Alleinunterhalter ist einfach nur peinlich, die Rede des Geschäftsleiters zu lang, der Rock der Praktikantin zu kurz und um ein Uhr morgens hätten sie gerne noch einen Chai Latte getrunken, aber es gab nur Espresso. Am nächsten Morgen im Büro schreiben sie sieben Überstunden wegen X-mas Party auf.
 

«Dann nippen sie den ganzen Abend an einer Cola Zero und meckern.»

 

Die Emporkömmlinge

Diese Spezies zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihr ganzes Leben darauf ausrichtet, den Chef und den richtigen Moment nicht zu verpassen. Sie haben herausbekommen, wann der Chef eintrifft, und kommen zeitgleich an. Im besten Fall können sie dem Boss noch die Tür öffnen. Danach werden sie ihm nicht mehr von der Seite weichen. Was er trinkt, trinken auch sie, was ihm schmeckt, finden auch sie mega. Bei seiner Rede nicken sie wissend, lächeln wohlwollend und applaudieren stehend. Je später der Abend, desto übertriebener die Anbiederung. Sie erfinden fiktive Marathonläufe, erzählen von imagi-nä-ren Sommelier-Kursen und mutieren zu leidenschaftlichen Zigarren-Aficionados, um Gemeinsamkeiten vorzutäuschen, wo keine sind. Tags drauf müssen sie die hämisch lachenden Kollegen ertragen, weil der Chef sie im Gang nicht mehr wiedererkannt hat.

 

Die Hemmungslosen

Sie sind schon da, bevor die Türen geöffnet werden. Sie wollen nichts verpassen und das -Maximum aus diesem Anlass rausholen. Immerhin stehen ihnen jedes Glas Champagner und Gratis-Häppchen zu und sie planen, von beidem so viel wie möglich zu sich zu nehmen. Deshalb schlafen die einen schon um 20 Uhr an der Bar ein, die anderen machen sich volltrunken an die Gäste auf der Tanzfläche heran und der weinselige Buchhalter sieht endlich seine Chance gekommen, der Chefsekretärin seine Liebe zu gestehen. Keiner hat am nächsten Tag mehr eine Erinnerung daran, warum er mit stark geröteten Wangen aufwachte.
Wer würde angesichts solcher Artenvielfalt nicht gerne Party machen? Als Assistentin bleibt einem leider selten die Wahl. Man ist für die Organisation zuständig und kann deshalb nicht kneifen. Aber früh gehen schon, und im Extremfall ist früh dann, wenn der Prokurist auf Sie zutaumelt und lallt: «Frau Hugentobler, habe ich Ihnen schon meine Weihnachtskugeln gezeigt?» Brot und Spiele an der Jahresendfeier! Selig sind die, die nicht dabei sein müssen! 
 
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Tamara Krieger arbeitet seit vielen Jahren als Geschäftsleitungsassistentin in einem grossen multinationalen Dienstleistungsunternehmen.

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