Ausgejammert
«Jammern gefährdet Ihre Gesundheit» heisst das Buch von Dani Nieth. Der Autor erklärt, was wir uns selbst und anderen antun, wenn wir uns dem Jammern hingeben, und wie wir endlich damit aufhören.
Herr Nieth, Sie haben ein Buch über das Jammern geschrieben. Was fasziniert an diesem Thema?
Jammern ist in unseren Breitengraden allgegenwärtig und die Menschen verstehen oft nicht, wie sie sich selbst schaden, wenn sie oft jammern. Für mich ist das ein Thema, das man mit ein bisschen Übung selbst sehr gut in den Griff bekommt, und dabei möchte ich helfen.
Warum jammern Menschen überhaupt?
Ein Baby klagt, wenn es Hunger oder Durst hat. Später lernt es, dass es Aufmerksamkeit bekommt, wenn es klagt, und dann imitiert es die Klagelaute. Das ist dann Jammern.
Klagen und Jammern sind also zwei unterschiedliche Dinge?
Absolut. Klagen hat seine Berechtigung. Menschen passieren unangenehme Dinge und es ist völlig in Ordnung, darüber zu klagen. Klagen hat Platz, auch Kritik hat Platz.
Wo fängt bei Erwachsenen das Jammern an?
Kennen Sie diese Leute, bei denen immer alles schiefgeht? Immer schlechtes Wetter in den Ferien, immer bei der Gehaltserhöhung übergangen und im Stau stehen diese armen Menschen auch immer ... Jammern fängt für mich da an, wo die Unzufriedenheit auf die Rahmenbedingungen geschoben wird.
Was sagt es über Menschen aus, die jammern?
Für mich sind das Menschen, die lieber im Status quo verharren, als etwas zu ändern, und keine Verantwortung für ihre Probleme übernehmen. Zumeist sind das ängstliche Menschen, die ihre Komfortzone lieber nicht verlassen möchten. Interessanterweise ist Jammern ein Phänomen der westlichen Welt.
Schadet uns Jammern denn?
Ich finde ja. Stellen Sie sich eine Gruppe von Frauen vor, die zum Beispiel gerade ein Pause machen. Eine sagt: «Was für ein schöner Herbsttag.» Und dann wirft eine andere ein: «Aber am Wochenende kommt’s wieder regnen. Immer am Wochenende ist es nicht schön.» Dann fokussieren alle auf das Negative und kommen schön in eine Abwärtsspirale.
Jammern steckt also an?
Und wie!
Was würden Sie der Jammer-Frau sagen?
Dazu habe ich ein schönes Beispiel. Ich habe einmal einen Brasilianer im Auto mitgenommen, der per Autostopp unterwegs war. Es hat geregnet. Dann habe ich, in gewohnter Manier, mit Jammern über das Wetter angefangen. Er hat einfach gesagt: «Wasser ist Leben, es ist wichtig.» Und so weiter. Da ist mir ein Licht aufgegangen. Dieser Mann hat das Wetter in einen anderen Kontext gesetzt und konnte ihm so etwas Positives abgewinnen.
Ist das der Trick?
Ja. Jammerer können nicht reframen. So nennt man die Fähigkeit, das, was einem gerade widerfährt, in einen grösseren Zusammenhang zu setzen. Denn schlussendlich sind wir Menschen so klein. Was macht es da schon im grossen Ganzen, wenn es uns ein bisschen die Ferien verregnet.
Wie genau können Menschen reframen?
Das Leben ist immer ein System aus Umständen, in denen wir uns befinden. Die gefallen uns mal mehr, mal weniger. Wenn uns an den aktuellen Umständen etwas nicht passt, haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wir passen unser Verhalten an oder wir verlassen die Umstände.
So einfach ist es ja wohl nicht für jeden …
Natürlich verstehe ich den Familienvater, der vielleicht unzufrieden im Job ist, aber nicht kündigen will, weil er nicht weiss, woher dann das Geld kommen soll. Mit Jammern kommt er aber trotzdem nicht weiter. Und wenn wir manchmal nicht die Energie für eine grosse Veränderung haben, dann fangen wir eben kleiner an. Nur Verharren, das geht einfach nicht.
Aber was ist, wenn jemand wirklich nichts ändern kann?
Machen Sie mir ein Beispiel von etwas, das man wirklich nicht ändern kann …
Ja, das ist schwierig ...
Sehen Sie.
Wie gehen Sie denn mit Jammerern um?
Angenommen, mir jammert jemand vor, dass es immer regne, wenn er Golf spiele. Dann sag ich: «Geh doch nicht mehr golfen.» Die Leute hören dann meist auf zu jammern. (Lacht)
Aber Jammern kann doch auch eine befreiende Wirkung haben, oder sehen Sie das anders?
Natürlich ist es okay, auch mal auszurufen. Ich rate aber dazu, das zeitlich zu beschränken und vor allem andere damit nicht zu nerven. Es ist natürlich nicht immer leicht, das umzusetzen. Ich beschäftige mich jetzt seit zehn Jahren mit dem Thema und erwische mich noch immer dabei, wie ich mich zum Beispiel im Stau extrem aufrege, was die ganzen Idioten auf der Strasse machen. Aber ich bin ja einer von denen und wenn ich es merke, nehme ich meine rote Clownsnase aus dem Handschuhfach und versuche, mich einfach weniger ernst zu nehmen.