Auf Umwegen zum Zug

Nicole Brühwiler hätte eine glanzvolle Karriere in der Gastronomie vor sich gehabt. Bis eine Krankheit ihr einen Strich durch die Rechnung machte. Ihre Talente kann sie nun als Assistentin bei Stadler Bussnang ausleben. Und beim Badminton.

Sie hat sich fünf Eisenbahnen und drei Bahnhofsgebäude gekauft. Auch ein Alpenhaus hat Nicole Brühwiler erworben, eine ganze Kulisse, Schweizer Landschaft und die Alpen, Heimat und Nostalgie. Alles Stadler Züge, alle ausser einem. Die Isebähnli stehen nun im Keller, bis der nächste Winter kommt. Dann leimt Nicole Brühwiler weiter an den Gleisen, kauft neue Komponenten dazu. Züge ziehen sich durch ihr Leben, durch ihre Wohnung und ihren Beruf. Die 34-Jährige arbeitet seit vier Jahren bei Stadler Rail, seit 2013 als Assistentin des CEO von Stadler Bussnang im Kanton Thurgau.

Brühwilers Lieblingszug bei Stadler Rail heisst  «Flirt», die Abkürzung für «flinker, leichter, innovativer Triebzug». So ein Modell fährt auch durch Norwegen, weiss-rot-schwarz, «das ist wohl mein Frauenauge», sagt sie und lacht. «Keiner meiner Kollegen würde einen Zug nach seinem Äusseren beurteilen, eher nach der Technik.» Brühwiler hat ein Auge für Ästhetik, sie weiss, wie sie sich elegant kleidet, souverän wirkt, gewinnend spricht. So, wie sie in der Wunderbar in Arbon am Holztisch sitzt und die Hände verwirft, könnte man sich nie vorstellen, dass sie jemals schlafen muss, so viel Energie versprüht sie, Wärme, Freundlichkeit. Sie hat gelernt, zuvorkommend zu sein. Nicht erst als Assistentin, sondern schon von Kindesbeinen an, im Gastronomiebetrieb der Eltern in Arbon. Sie ist eine von hier, im Dorf kennt man die Familie Brühwiler, Wirte des Gasthofs Altstadt.

Am liebsten direkt

Die Gastronomie war Brühwilers erste grosse Liebe. «Ich wollte alles werden ausser Köchin», sagt sie, also half sie in der Gaststube, servierte und schaute zu den Gästen. Brühwiler machte eine Weiterbildung im Hotelfach, -einen Bar- und Receptionskurs, wurde eidgenössische Restaurationsleiterin. Wenn man sie nach Work-Life-Balance, nach Freizeit und Erholung fragt, lacht sie kurz irritiert auf und sagt dann: «Ich brauche gar keine Balance, ich arbeite gerne, sehr gerne. Und gern hart.» Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sie einmal Assistentin eines CEO würde. Bis die Hüftprobleme kamen. Brühwiler war gerade mal 26 Jahre alt, als sie die Diagnose Arthrose erhielt. Es gab Tage, da kam sie nicht einmal aus dem Bett, der ganze Körper schmerzte. «Ich lasse die Leute nicht gerne im Seich, ich springe automatisch», sagt sie. Aber die Krankheit liess das nicht mehr zu. Also zog sie einen Schlussstrich unter ihren Traum von der Hotelkarriere. «Das hat weh getan. Aber es war gut so. Vielleicht wäre ich sonst daran zerbrochen.»

Der Berufsberater half nichts, er sagte ihr nur Dinge, die Nicole Brühwiler schon wusste: etwas mit Menschen machen, etwas Dienstleistungsorientiertes. Alle ihre Ausbildungen hat sie selbst bezahlt, sie will ihren eigenen Weg gehen. Nicole Brühwiler ist ein aufrechter, loyaler Mensch. Sie ist ihrer Heimat Thurgau immer treu geblieben, ist naturverbunden und fröhlich, gibt gerne mehr, als sie bekommt. Sie sagt von sich, sie könnte niemals lügen, und Marketing machen könne sie auch nicht. «Dinge sagen, die noch gar nicht eingetreten sind, das liegt mir nicht», dafür ist sie zu gradlinig. Natürlich habe dieses Direkte nicht immer seine Vorteile, manchmal stosse sie damit auch Menschen vor den Kopf, aber dafür wisse man, woran man bei ihr sei.

2012 kam Stadler Rail in ihr Leben. Als Aushilfe rutschte sie in die HR-Abteilung, weil sie Office-Programme konnte und die Service-Ausbildungen sie alles andere gelehrt hatten. Ihr heutiger Chef fing zeitgleich im Unternehmen an, suchte eine Assistentin, die ihn unterstützt, den Tagesablauf managt, Protokoll führt. Plötzlich war Nicole im Gespräch, ihr damaliger Chef im HR sagte: «Die Nicole, die kann das.» Obwohl sie Quereinsteigerin war, obwohl sie so etwas noch nie gemacht hatte. 

Ausser Dienst

Dafür habe ich mal viel Mut gebraucht: Vor fünf Jahren meine damalige -Lebensberufung aufzugeben
Das hat mich geprägt: Mein dreimonatiger Auslandaufenthalt in Vancouver. Ich musste eigenständiger und offener werden. Diese Erfahrung war sehr wertvoll.
Das bringt mich zum Staunen: Immer wieder die vier Jahreszeiten zu erleben
Das macht mich nachdenklich: Die aktuelle politische Situation, besonders die Flüchtlingskrise
Das möchte ich gerne noch lernen: Die französische Sprache
Diese Person würde ich gern kennenlernen: Roger Federer, er ist so ein leidenschaftlicher Sportler. Er gibt nie auf, ist auf dem Boden geblieben und setzt sich für wohltätige Projekte ein.

 

Immer auf Achse

Dann war Nicole plötzlich oben im 5. Stock, nicht mehr im EG. Sie hat die neue Assistentin ersetzt, die nach zwei Wochen bereits wieder hingeschmissen hatte. «Ihr wurde es wohl zu viel», sagt Brühwiler, «ich stehe eben jeden Morgen um sechs Uhr in der Früh im Büro, um alles vorzubereiten», sagt sie nicht ohne Stolz. Industrie ticke anders als andere Branchen. Ihr Chef und sie suchten gemeinsam nach einer Weiterbildung, die ihr das nötige Rüstzeug für den Assistenzjob mit-geben würde. Nicole Brühwiler hat heute das höhere Wirtschaftsdiplom in der Tasche, HR, Marketing, Projektleitung, Prozessmanagement, Rhetorik.

Kinder und einen Mann hat Nicole Brühwiler nicht zu Hause, dafür wäre im Moment gar keine Zeit. «Ich hätte gerne Familie, ich liebe Kinder. Aber Heirat, ein Haus, ein Hund, ein Kind: Das bedeutet noch nicht, dass man dann glücklich ist.» Sie wünscht sich einen Partner auf Augenhöhe, der Verständnis für ihren Job hat und flexibel genug ist, um mit ihr mitzuhalten. Mit genug Energie und einem eigenen Kopf, wie sie selbst. Der mitkommt, in die Natur, wenn sie Bike fährt, schwimmt, joggt, rennt. Hauptsache, Brühwiler wird’s nicht langweilig, das wäre nicht so gut, «ich brauche einen ausgefüllten Tag». Davon abgesehen nimmt sie das Leben gerne so, wie es gerade kommt.

 

«Ich habe oft Mühe damit, dass die Menschen hier in der Schweiz nicht so viel und offen kommunizieren.»

Seit Kurzem spielt sie nun auch Badminton in Arbon, nach Möglichkeit jeden Montag und Mittwoch, von 20 bis 22 Uhr, im Seeparksaal. Ein bisschen sei das wie Tennis, sagt sie.
Sie hatte acht Jahre Tennis gespielt, bis zum Anfang der Lehre, «danach lag der Fokus auf der Arbeit». Jetzt spielt sie wieder am Netz und «kotzt sich aus», wie sie sagt, bekommt den Kopf nach der Arbeit wieder frei. Den Ehrgeiz, den sie im Job hat, habe sie im Badminton nicht, beteuert sie, «ich habe zu spät angefangen». Sie wolle gewinnen, aber für Turniere fehle ihr der Ansporn. Sie mag die Idee des Teamgeistes, gemeinsam etwas zu schaffen. Beim Badminton sei sie mit Menschen zwischen 18 und 60 zusammen, eine bunte Mischung. «Das Team ist mir wichtig, im Leben generell.» Am Anfang, sagt Brühwiler, habe sie sich wirklich überwinden müssen. «Ich wusste ja gar nicht, wer alles dort sein wird! Ich kannte doch fast keinen!» Sie verkopfe sich schnell, sei auch mal unsicher. Sie stecke eben ihre Anforderungen an sich selbst sehr hoch, und die ans Gegenüber auch. Und sie will gemocht werden, das merkt man ihr nun kurz an.

Am liebsten am See

Zur Arbeit fährt Nicole Brühwiler mit dem Auto, das ist einfacher. Aber Zug fährt sie auch gerne. Weil die Menschen dann ab und zu miteinander ins Gespräch kommen, auch wenn sie sich fremd sind. Und sie ihre offene Art leben kann, ein bisschen wie im Süden, wo alles herzlicher, ein bisschen wärmer, ein bisschen offener ist. «Ich habe oft Mühe damit, dass die Menschen hier in der Schweiz nicht so viel und offen kommunizieren», sagt sie. Sie lerne gerne Neues und fremde Kulturen kennen. Ihre Heimat verlassen würde sie wohl trotzdem nie. «Ich liebe die Schweiz, ich bin hier zu Hause», sagt Brühwiler. Nach Zürich würde sie ziehen, für einen neuen Job, nach Luzern auch, nach Chur nie. Hauptsache, am neuen Ort ist auch ein schöner See, wie hier, in Arbon, «mit dieser Weite, nichts Engstirniges». Von ihrer Wohnung aus sieht sie den See, jeden Morgen, jeden Abend. Wenn sie nicht gerade an einem Isebähnli leimt. 

Zur Person

Nicole Brühwiler (34) wohnt in Arbon im Kanton Thurgau. Nach zwei abgeschlossenen Lehrgängen im Gastgewerbe und diversen Weiterbildungen war sie zehn Jahre lang im Landgasthof Seelust in Egnach TG tätig. Wegen Hüftproblemen musste sie ihre Karriere in der Gastronomie vorzeitig beenden. Nach einer Neuorientierung arbeitete Brühwiler zuerst in einem Stellenvermittlungsbüro. 2012 folgte ihr Eintritt bei ihrem heutigen Arbeitgeber Stadler Bussnang. Seit vier Jahren ist die Quereinsteigerin nun Assistentin des CEO von Stadler Bussnang, Dr. Thomas Ahlburg. Daneben arbeitet sie weiterhin 20 Prozent im HR und ist dort zuständig für Studenten und Praktikanten.

 

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